Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
Vom Netzwerk:
sich davon zu überzeugen, daß sie ihn richtig verstanden hatten. Und sie wußten sofort, was es bedeutet, in einer dermaßen bedrohlichen Lage zu sein. Mit einem rachsüchtigen Irren auf den Fersen. Etwas Schlimmeres konnte es ja wohl kaum geben.
    »Pa. Der ist sicher längst über alle Berge. Du sagst ja selber, daß er nicht blöd ist. Wie sah er eigentlich aus?« fragte Karsten. »War er so richtig blutüberströmt?«
    »Er stand hinter einem Baum«, sagte Kannick leise. »Er stand so ganz komisch da, seine Hände hingen einfach nach unten, und er starrte mich an. Er hat so seltsame Augen. Mein Onkel hat grönländische Schlittenhunde, und Errkis Augen sehen aus wie die von diesen Kötern. Weiß irgendwie, wie bei einem toten Fisch.«
    Er dachte an den schicksalhaften Moment zurück, als er mit hämmerndem Herzen bei Halldis gestanden und verängstigt zum Wald hinüber geschaut hatte, zu den schwarzen Bäumen, zwischen denen dann plötzlich diese Gestalt aufgetaucht war. Zuerst ganz ruhig. Dann hatte sie sich bewegt, und etwas Schwarzes hatte sich langsam vorgebeugt, und erst da hatte er gesehen, daß es sich um ein Gesicht handelte. Um ein weißes Gesicht mit stechendem Blick. Der Teufel selber hätte Kannick in keine tiefere Verzweiflung stürzen können. Er war wie ein Hase den Weg hinuntergejagt, hatte seinen Koffer mit dem Bogen wegwerfen wollen, es aber nicht gekonnt, war weitergelaufen und hatte sich nicht einmal umgeschaut.
    »Hat er schon andere Leute umgebracht?« fragte Jaffa, löste seinen Körper aus dem Lotossitz und streckte seine steif gewordenen Beine aus.
    »Zuerst seine Mutter. Und dann diesen Alten oben bei der Kirche«, erklärte Kannick voller Überzeugung. »Und trotzdem läuft dieser Typ frei herum. Ziemlich übel, ein Heim wie dieses«, er umfaßte Zimmer und Hof mit seinen Blicken, »ein Haus voller Minderjähriger in ein Dorf zu legen, in dem ein Massenmörder lebt.«
    »Du Idiot«, sagte Karsten nachdrücklich. »Das Heim war zuerst hier, und erst dann ist Errki wahnsinnig geworden.«
    »Aber warum wird er denn nicht eingesperrt?« fragte Simon ängstlich.
    »Das war er ja. Aber er ist ausgebrochen. Bestimmt hat er die Nachtwache k.o. geschlagen und die Schlüssel geklaut.«
    Simon hatte mehr Stoff zum Nachdenken, als ihm lieb war. Verstohlen glitt er zu Karsten hinüber und lehnte sich an ihn.
    »Keine Angst, Simon. Hier sind doch die Türen abgeschlossen«, beruhigte ihn der Ältere.
    »Und Errki bleibt nie lange an einem Ort. Er wandert umher. Im Moment ist er bestimmt auf dem Weg in die Stadt, um da noch jemanden umzubringen.«
    »Wen denn?« jammerte Simon.
    »Einfach irgendwen. Der braucht nicht zu hassen, um zu töten.«
    »Aber warum macht er es dann?«
    »Das muß er. Das ist ein innerer Drang.«
    Simon wollte sich die Sache mit diesem »inneren Drang« erklären lassen, aber dann verließ ihn der Mut. Kannick griff nach der Schachtel mit den Mokkabohnen und öffnete den Deckel. Nahm das Stück Wellpappe oben weg und reichte die Schachtel verlegen herum. Sein neuer Status überwältigte ihn. Nie hatte irgendwer so lange stillgesessen, nur um ihm zuzuhören. Die anderen griffen gierig zu, und für kurze Zeit war nur ihr Schmatzen zu hören.
    Karsten war sauer. Er konnte sich nicht damit abfinden, daß nicht er die Leiche gefunden hatte. Daß das diesem Trottel Kannick passiert war, daß der eine Tote gesehen hatte, obwohl er doch zwei Jahre jünger war und noch dazu viel zu fett. Auch von den anderen hatte keiner je eine Leiche gesehen.
    »Hatte sie die Augen offen?« fragte er kurz.
    Kannick kaute und dachte einen Augenblick nach. »Ganz weit offen. Das eine, das sie noch hatte.«
    Plötzlich schaltete Philip sich ein. »Ich hab mal von einem Mädchen gehört, das eine Puppe hatte, und die Puppe wurde über Nacht lebendig. Ihre Fingernägel wuchsen. Als das Mädchen morgens aufwachte, war es blind. Die Puppe hatte ihr die Augen ausgekratzt.«
    »Hier ist nicht die Rede von einem Video!« schrie Kannick wütend. »Das hier ist die Wirklichkeit. Dein Problem ist, daß du Wirklichkeit und Phantasie nicht auseinanderhalten kannst. Deshalb bist du doch hier, aber das hast du sicher nicht gewußt.« Er schloß die Augen, um sich besser auf seine Erinnerung konzentrieren zu können. »Ihr Auge guckte so entsetzt, als ob sie den Teufel selber gesehen hätte.«
    »So groß war der Unterschied bestimmt nicht«, kommentierte Karsten trocken. »Ich wüßte gern, ob er vorher noch was zu

Weitere Kostenlose Bücher