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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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ihren Zigaretten zu ziehen, werfen die niedergebrannten Kippen in den Blecheimer, den Lewadski ihnen entgegenhält.
    »Sie ist bestimmt über neuntsig, wieso nimmt sie nicht den Auftsug?«, lispelt der Möbelpacker mit der Schiebermütze. »Zu stolts ...«, beantwortet er selbst seine Frage.
    »Sag bloß, die hat noch Katharina die Große gekannt!«, lacht der Kollege des Lispelnden und knöpft sein Hemd auf. Ein Segelboot ist im Dickicht seiner Brusthaare gestrandet.
    »Katharina die Große bestimmt nicht!«, mischt sich Lewadski ein. »Wenn sie wirklich über neunzig ist, dann kann es gut sein, dass sie im russischen Krimkrieg von 1853 geboren wurde, ihr erstes Kind im Russisch-Türkischen Krieg von 1877 bekommen hat, ihr erstes Enkelkind wäre dann während der verlustreichen Schlachten im Russisch-Japanischen Krieg von 1904 zur Welt gekommen. Einen Teil ihrer Brut wird sie im Ersten Weltkrieg verloren haben, und nun ...«, Lewadski hebt eine Augenbraue.
    »Ertsählen Thie!«, fleht der Lispelnde.
    »Und nun durfte die Langlebige, als wäre es nicht genug gewesen ...«, Lewadski hebt seinen Zeigefinger, »als ob es nicht genug gewesen wäre, durfte die alte Dame nun den Rest ihrer Nachkommenschaft in den Rachen des Großen Vaterländischen Krieges werfen!«
    »Hertstserreithend!« Der Lispelnde schaut nachdenklich die Betontreppe hinunter zu der Tür, die die anbetungswürdige Augenzeugin eben noch hinter sich zugezogen hat.
    »Dass sie niemanden hat, ist sicher«, versichert Lewadski, »schließlich werden die Wohnungen in dieser Siedlung an die Kriegsveteranen vergeben.«
    »Darum heißt die Straße Veteranenstraße«, freut sich der Matrose mit der haarigen Brust.
    »Wietho wohnen Thie hier? Waren Thie an der Front?«, will der Lispelnde wissen.
    »Wie man es nimmt. Ich war ...«
    »An Ihnen ist alles dran, Sie sind kein Veteran!«, knurrt der Matrose.
    »Kein Invalide oder tho«, verbessert ihn sein lispelnder Kollege.
    »Ich war ...«, Lewadski wühlt in seinen Hosentaschen, »ich war ...«
    »Sie sind kein Veteran!« Die Stimme des Matrosen, zu dünn für seine haarige Brust, flattert im kalten Gewölbe des Treppenhauses. »Kein Veteran und kein Kriegsteilnehmer. Wo waren Sie?«
    »Und wo waren Sie, wenn ich fragen darf?«, wehrt sich Lewadski und nimmt die Hände aus den Taschen.
    »Ich konnte nicht.« Der Matrose zündet sich eine neue Zigarette an.
    Der Blick des Lispelnden wandert vom Matrosen zu Lewadski und von Lewadski zu dem dritten Möbelpacker, der bisher kein Wort verloren hat. »Thelbst dem taubthstummen Herrn Kollegen fehlen die Worte«, sagt der Lispelnde und deutet mit der Schläfe in Richtung des Taubstummen, der seinerseits den braungebrannten öligen Glatzkopf in die Höhe reckt, um die Worte aus der Luft zu erschnuppern.
    »Er weith, dath über ihn gethprochen wird. Wir – thsprechen – nicht – über – dich!«
    »Ich konnte nicht«, rechtfertigt sich der Matrose, »weil ich, äh ...«
    »Wath?«
    »Was denn?«
    »Weil ich mich um meinen Taubenschlag kümmern musste.«
    »Ehh hee,« jault der Taubstumme und deutet mit der Nase auf die Streichhölzer, die aus der Streichholzschachtel in der Hand des Lispelnden auf die Stufen rieseln.
    »Versteckt habe ich mich im Taubenschlag, versteckt habe ich mich dort, bitte schön!«
    »Bitte schön, bitte schön!«, leiert der Lispelnde, »die Tauben waren dir lieber alth dath liebe Vaterland! Tho einen Kameraden habe ich altho ...« Der Matrose blinzelt, als hätte er eine Eintagsfliege im Auge. »Thag bloth, dath niemand dich gefunden hat in deinem Verthteck!«
    »Das Verthteck war in einem Keller«, äfft ihn der Matrose nach und knöpft das eben aufgeknöpfte Hemd wieder zu.
    »Ehhe!«, der Taubstumme winkt angewidert ab, »ehhehe ...«
    »Im Keller«, wiederholt der Lispelnde.
    »Und wo warst du, Freundchen?«
    Der Lispelnde presst die wimpernlosen Lider zusammen, bevor er antwortet. »Ich lithpele.«
    Im Lachen des Matrosen grollt der Donner.
    »Ich habe immer gelithpelt. Ich war untauglich für dath Vaterland.«
    »Wer hat Sie denn für untauglich befunden?«, fragt Lewadski immer noch im Türrahmen stehend.
    »Eth itht ein Geheimnith«, verrät der Lispelnde.
    Welcheth denn?, rutscht es Lewadski beinahe heraus. »Welches denn?«
    »Ein grothes«, scherzt der Lispelnde.
    »Erzähl doch!«, bittet der Matrose.
    »Mein Vater war eth. Er war thelbtht ein Obertht. Dath reichte.«
    »Starb er?« Die Augenbrauen des Matrosen fahren in die

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