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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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wenig schmeichelhaften frühmorgendlichen Licht sah Freddie erschreckend aus. Das Gesicht war eingefallen und leichenblaß, die Augen rot unterlaufen. Er versuchte vergeblich, ein Gähnen zu unterdrücken. Olivia bekam fast Mitleid, aber sie blieb hart. Den armen Freddie traf zwar keine Schuld, daß er ihr das größte Vergnügen am Tag verdarb – aber weshalb war er nicht so sensibel, zu spüren, daß er unerwünscht war?
    »Ich reite jeden Morgen etwa fünf Meilen«, erklärte sie herzlos, als sie nebeneinander die Chowringhee Road entlangritten. Sie saß wie immer nicht im Damensitz, obwohl ihre Tante das sehr mißbilligte. »Mir geht es um Training und Erkundungen, weniger um Entspannung und Erholung. Heute wollte ich zum Fischmarkt in der Nähe der Kidderpore Road.«
    Freddie wurde noch blasser um die Nasenspitze. »Zum Fischmarkt? Aber Miss O’Rourke, äh … Olivia … ist das nicht zu … riskant?«
    »Nein, das finde ich nicht«, erwiderte sie entschieden. »Ich möchte einmal den morgendlichen Fang sehen. Man hat mir erzählt, manche Fische sind sehr ungewöhnlich. Es gibt dort Haie, Barracudas und Riesenschildkröten.«
    »Aber diese Eingeborenenmärkte sind die reinsten Krankheitsherde. Sie sind schmutzig und stinken. Und die Scharen nackter, rotznasiger Kinder …« Ein Schauer lief ihm über den Rücken, und ihm schien schon bei dem Gedanken an das bevorstehende Abenteuer übel zu werden.
    Olivia lenkte widerwillig ein, denn sie wollte ihn nicht zu sehr quälen. »Also gut, dann fahren wir mit der Fähre über den Fluß und reiten durch den Wald.«
    Freddie wirkte ungeheuer erleichtert. Olivia warf nachdenklich einen Blick auf seine müden Augen mit den dicken Tränensäcken, auf das verlebte Gesicht, die gebeugten Schultern, die ihn Jahre älter erscheinen ließen. Ja, er schien es wirklich darauf anzulegen, sich früh ins Grab zu bringen. Er tat ihr leid, aber sie ließ sich von ihrem Entschluß durch seine beklagenswerte körperliche Verfassung nicht abbringen. Selbst wenn sie seine Mutter aufrichtig bedauerte, machte das den absurden Vorschlag nicht im entferntesten annehmbarer. Sie würde Freddie nicht heiraten, schwor sie sich noch einmal.
    Sie trabten an der Kirche St. John vorbei – wie man sagte, ein getreues Abbild von St. Martin in the Fields in London –, dann an dem großen Teich vor dem Writer’s Building, Hauptverwaltung der John-Kompanie und Mittelpunkt der kosmopolitischen Handelswelt von Kalkutta. Die drei winzigen Dörfer Kalikata, Govindpur und Sutanati, die Job Charnock 1690 für die Gesellschaft gepachtet hatte, waren inzwischen zu einer eindrucksvollen und architektonisch eleganten Stadt aufgeblüht. Sie ritten durch die Clive Street, wo sich Sir Joshuas Handelshaus befand und ironischerweise auch das von Jai Raventhorne. Völlige Ruhe lag am frühen Morgen über dem schmalen, grauen und betont schmucklosen Trident Building. Alle Fenster waren geschlossen, und nur das kalt funkelnde Metallemblem über dem Portal ließ erkennen, wem das Gebäude gehörte und wozu es diente. Nach der triumphalen Rückkehr der Ganga, dem ersten indischen Dampfschiff in Privatbesitz, würde hier in wenigen Stunden große Geschäftigkeit herrschen. Olivia fühlte sich plötzlich in Hochstimmung. Und als sie am alten Fort Ghat hinter der neuen Werft ankamen, hatte sie Freddie bereits soweit verziehen, daß sie über seine belanglose Konversation lächeln konnte.
    Das Übersetzen mit der Fähre nach Sibpur am Westufer des Hooghly war angenehm und dauerte nicht lange. Als sie den Wald erreichten, hatte sich Olivias Laune erheblich gebessert. Während sie gemächlich zwischen den riesigen Bäumen ritten, hörte sie Freddie zu und stellte überrascht fest, daß er sehr viel unterhaltsamer war, als sie geglaubt hatte. Er erzählte von seinen Eskapaden in London und Oxford und von seinem Vater, zu dem er offenbar kein besonders herzliches Verhältnis hatte. Seine Mutter verehrte und liebte er, obwohl er sie auch fürchtete. »Ich weiß, Mutter ist ein Drachen, aber sie kann auch sehr verständnisvoll sein«, sagte er. »Vater ist schwieriger, verknöchert und pedantisch. Er glaubt allen Ernstes, Gott habe die Welt nur geschaffen, damit es in England sein Oberhaus gibt.«
    Olivia lachte. Freddie sprach so unbekümmert und unbeschwert, daß sie freundlicher wurde. Meist nahm er sich mit seinen Geschichten selbst aufs Korn, und er sagte kein schlechtes Wort über andere. Offenbar war er wirklich

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