Wer morgens lacht
verbunden. Unsere Mutter zupfte an der Tischdecke herum, schob sich die Haare hinter die Ohren, ordnete seine Zigarettenschachtel und das Feuerzeug im rechten Winkel zueinander, stand auf und holte ihm die Whiskeyflasche und ein Glas und setzte sich wieder hin. Sie hat es nicht ernst gemeint, sagte sie, sie hat uns nur einen Schrecken einjagen wollen, verstehst du, nur einen Schrecken. Sie wollte es uns heimzahlen, dass wir ihr keinen Roller gekauft haben.
Er reagierte mit Schweigen, entweder wollte er ihr nicht den Trost geben, den sie suchte, oder er konnte es nicht, weil er selbst Trost gebraucht hätte, er schwieg, trank aber zwei Gläser Whiskey hintereinander.
Ich war oben gewesen, auf der Toilette, und auf dem Rückweg an der offenen Küchentür stehen geblieben. Sie hatten mich nicht bemerkt und bemerkten mich auch jetzt nicht, als ich leise zurück in mein Zimmer schlich. Sie hat es nicht ernst gemeint, dachte ich und fühlte mich irgendwie betrogen. Es waren nur Baldriantabletten. Sie hat es nicht ernst gemeint, es war nur ein kindisches Theater, um sich dafür zu rächen, dass es nicht nach ihrem Willen gegangen ist. Ich war enttäuscht, ich hatte das Gefühl, als hätte man mir etwas weggenommen, etwas, was vielleicht entscheidend gewesen wäre, was mir und meinem Leben vielleicht eine andere Wendung gegeben hätte.
Marie blieb drei Tage lang im Bett und redete kein Wort mit uns, dann stand sie auf und tat, als wäre nie etwas gewesen. Und am vierten Tag ließ sie sich die Haare kurz schneiden und knallrot färben. Und über eine psychotherapeutische Behandlung wurde nie gesprochen. Es war ja nur Baldrian.
Neun
Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen, hat Marie immer gesagt, wenn ich voreilig versprochen hatte, eine Arbeit für sie zu erledigen, und mich nachträglich zu wehren versuchte.
Natürlich ging es immer um Arbeiten, zu denen sie keine Lust hatte, zum Beispiel, das Badezimmer zu putzen, einzukaufen, die Gemüsebeete sauberzumachen, all die lästigen Pflichten, die uns unsere Mutter morgens auftrug, bevor sie das Haus verließ, und ihr Argument war immer: Ich arbeite den ganzen Tag, da ist es nur recht und billig, dass ihr ein bisschen helft.
Diesen Satz hat sie so oft gesagt, dass es mir vorkommt, als wäre es Tag für Tag gewesen, so zuverlässig wie der morgendliche Wetterbericht im Radio. Es fing an mit »ihr macht heute dies, ihr macht jenes«, mit einem »ihr«, das uns beide meinte, mich, Anne, und sie, Marie, und endete mit: Ich arbeite den ganzen Tag, da ist es nur recht und billig, dass ihr auch ein bisschen helft. Und am Schluss blieb alles an mir hängen, in meiner Erinnerung war ich nichts anderes als das Dienstmädchen der Familie, das Aschenputtel, ohne dass mir freundliche Tauben geholfen hätten und ohne dass ein Prinz in Sicht war.
Ich war so gefügig, besonders Marie gegenüber, wenn sie diesen vertraulichen Ton anschlug, auf den ich immer wieder reinfiel. Könntest du für mich das Bad putzen? Ja, klar, mach ich. Könntest du heute das Einkaufen übernehmen? Ja, kein Problem. Könntest du die Küche putzen? Die Wäsche aufhängen? Ja, natürlich, warum denn nicht. Immer gab ich nach, immer war ich bereit, das zu tun, was sie verlangte.
Anfangs war es vermutlich mein schlechtes Gewissen, das mich dazu trieb, ihr gefällig zu sein, auch wenn die Ärzte im Krankenhaus gesagt hatten, es habe sich um eine Infektion gehandelt, sie müsse den Erreger irgendwo aufgeschnappt haben, ein Zeckenbiss sei es jedenfalls nicht gewesen, aber so etwas passiere nun mal, niemand sei daran schuld. Unsere Mutter hatte das während ihrer Krankheit immer wiederholt, und ich hatte ihnen geglaubt, ihr und den Ärzten, weil ich ihnen glauben wollte. Doch insgeheim wusste ich es besser, tief in mir gab es eine dunkle Stelle, etwas Eitriges, Böses, etwas nagte in mir, wie ein Wurm einen Apfel, der von außen schön und gesund aussieht, von innen so lange zernagt, bis man ihn am Schluss wegwerfen muss, und dieses ekelhafte Nagen ließ sich nur besänftigen, wenn ich für sie arbeitete, dann war ich nichts anderes als ihre kleine Schwester, für deren Hilfe sie dankbar sein würde, ja dankbar sein musste.
Das war es, was ich anstrebte, sie sollte erkennen, wie hilfsbereit ich war, wie nützlich, sie sollte mich endlich wahrnehmen und, aber das gab ich nicht zu, nicht einmal vor mir selbst, sie sollte mich lieben. Deshalb war ich so nachgiebig, zumindest in den ersten ein, zwei
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