Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Archäologen, ein regionaler Herrscher. Die Bewohner aus umliegenden Siedlungen |181| könnten nach Susa gekommen sein, um die Götter anzubeten, ihrem Herrn zu huldigen und Nahrungsmittel gegen Schmuck und Waffen zu tauschen.
Es könnte natürlich auch ganz anders gewesen sein – so schlecht, wie die ältesten Schichten Susas gesichert sind, ist das eben schwer zu sagen. Doch Archäologen sind auf Stätten wie Susa angewiesen, um diese Periode überhaupt zu verstehen, denn die gleich alten Siedlungen Mesopotamiens liegen begraben unter Sand und Schlamm, die Euphrat und Tigris in 6000 Jahren dort abgelagert haben, und sind darum schwer zu untersuchen. (Außerdem wurden im Iran seit der islamischen Revolution von 1979 und im Irak seit Saddam Husseins Überfall auf Kuwait 1990 aus leicht nachvollziehbaren Gründen nur wenig neue Grabungen unternommen.) Wahrscheinlich waren bereits ab 4500 v. u. Z. überall an Euphrat und Tigris mit Susa vergleichbare Veränderungen in Gang, doch für Archäologen sind eindeutige Hinweise darauf erst ab 3800 v. u. Z. erkennbar.
So bleibt umstritten, warum die Dörfer wuchsen und ihre Ordnung komplexer wurde. Im 6. Jahrtausend v. u. Z., als Ackerbauern in Mesopotamien einwanderten, erlebte die Erde mit ihrer sich unaufhörlich verändernden Umlaufbahn um die Sonne und ihrer schwankenden Rotationsachse den wärmsten, feuchtesten Zeitraum ihrer Geschichte, kühlte sich jedoch um 3800 v. u. Z. bereits wieder ab. Das waren, sollte man denken, gute Nachrichten für die Ackerbauern Mesopotamiens, man läge damit aber falsch. Kühlere Sommer bedeuteten, dass die vom Indischen Ozean her Regen bringenden Monsunwinde schwächer wurden. Es regnete seltener, weniger regelmäßig und unvorhersagbarer; damals wurde Mesopotamien dem Land immer ähnlicher, das wir aus dem Fernsehen kennen. Die Schwierigkeiten addierten sich: Weniger ergiebige Frühjahrsregen bedeuteten kürzere Wachstumsperioden, die Feldfrüchte waren auf kümmerliche Weise reif, bevor Euphrat und Tigris mit ihrer Sommerflut für reiche Ernte hätten sorgen können. Das System, das die Ackerbauern Mesopotamiens über 2000 Jahre lang so sorgfältig aufgebaut hatten, funktionierte nicht mehr.
Der Klimawandel verlangte von den Mesopotamiern einiges an Veränderung. Natürlich hätten sie den Kopf in den Sand stecken können, der ihre Felder eroberte, hätten weitermachen können wie bisher. Der Preis dafür wären allerdings Armut, Hunger, vielleicht sogar Hungertod gewesen. Sie hätten auch abwandern können in Regionen, die weniger abhängig waren vom Monsun, aber Bauern, die ihre Felder mit Mühe angelegt und gepflegt haben, verlassen sie so leicht nicht. Zudem war der Fruchtbare Halbmond – die Region, in die sie am ehesten hätten umsiedeln können – bereits voller Siedlungen. 2006 haben Archäologen in Tell Brak im Nordwesten des heutigen Syrien zwei Massengräber junger Männer aus der Zeit um 3800 v. u. Z. entdeckt, offenbar Opfer eines Massakers. Die Rückwanderung an Orte des übervölkerten, gut verteidigten Fruchtbaren Halbmonds war also keine sehr attraktive Option.
Hätten die Mesopotamier überwiegend nichts getan oder wären sie weggezogen, dann wäre dieser neue Entwicklungskern zusammengebrochen. Aber es gab |182| ja noch eine dritte Möglichkeit. Die Menschen konnten ihre Dörfer aufgeben, gleichwohl in Mesopotamien bleiben, sich allerdings in einigen wenigen Großsiedlungen zusammenschließen. Das scheint widersinnig zu sein: Warum sollten die Menschen, wenn die Getreideernte sank, noch enger und dichter zusammenrücken? Diesem Zweifel haben einige Mesopotamier offenbar eine andere Überlegung entgegengesetzt: Wenn sie nämlich in größerer Zahl zusammenarbeiteten, dann könnten sie auch umfangreichere Bewässerungssysteme anlegen und unterhalten, sie könnten das Überschwemmungswasser solange in Becken zurückhalten, bis die Saat soweit war. Sie könnten mehr Bergleute ernähren, die Kupfer aus der Erde holten, mehr Schmiede, die daraus Schmuck, Waffen und Werkzeuge herstellten, mehr Händler, die diese Güter gegen andere eintauschten. Das taten sie denn auch, und es gelang ihnen so gut, dass um 3000 v. u. Z. Bronze (eine Legierung aus Kupfer und etwas Zinn) den Stein als Werkstoff für Waffen und die meisten Werkzeuge verdrängt hatte, was die Leistungsfähigkeit von Kriegern und Arbeitern deutlich steigerte.
Um aber das alles zu bewerkstelligen, war einiges an Organisation nötig. Zentralisierung der
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