Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
gesamten Nil-Tal zu ihren Verwaltern zu machen. An der Grenze zwischen Ober- und Unterägypten, strategisch geschickt angelegt, errichteten sie ihre Hauptstadt und ließen die regionalen Granden zu sich in den Palast kommen. Dort verteilten sie ihre Gunst und lieferten dem Kleinadel Gründe und Anreize, an das System zu glauben und es in Gang zu halten. Lokale Grundbesitzer pressten ihre Einkünfte aus den Bauern heraus, nahmen so viel, dass denen gerade genug zum Leben blieb, und reichten einen Teil dieser Einkünfte nach oben weiter, wofür sie umgekehrt mit königlicher Gunst bedacht wurden.
Der Erfolg der Pharaonen war abhängig teils von politischen Bündnissen und Günstlingswirtschaft, teils von der Pracht, die sie entfalten konnten, und alles das gelang vermutlich leichter, wenn sie selbst als Götter und nicht nur als deren Freunde anerkannt wurden. Welcher lokale Bonze hätte nicht gerne für einen Gott gearbeitet? Um das Ganze abzusichern, sorgten die Pharaonen dafür, dass eine mächtige Symbolik entstand. Schon bald nach 2700 v. u. Z. ließ König Djoser die Künstler am Hof einen Musterkatalog für die Hieroglypheninschriften und die Darstellung der Gottkönige entwerfen, der über 500 Jahre in Kraft blieb. Dass es theologische Probleme aufwirft, wenn ein Unsterblicher schließlich doch sterben muss, wird Djoser erkannt haben. Darum schuf er das höchste Symbol des ägyptischen Königtums, die Pyramide, die den heiligen Körper birgt. Die Große Pyramide des Königs Chufu (griechisch: Cheops), errichtet um 2550 v. u. Z., war ursprünglich 146,59 Meter hoch und blieb bis 1880 u. Z. das weltweit höchste Bauwerk; erst dann ragten die Türme des Kölner Doms noch höher empor. Und noch immer ist die Pyramide mit etwa einer Million Tonnen das schwerste Gebäude der Welt. Tausende von Arbeitern erbauten sie in jahrzehntelanger Plackerei, brachen die Steine, schifften sie den Nil hinab, behauten sie und zerrten sie an ihren Platz. Das so genannte »Arbeiterdorf« am Fuß der Pyramiden gehörte zu seiner Zeit zu den weltweit größten Siedlungen. Die Versorgung der Arbeiter, ihr Transport und Einsatz erforderten einen Quantensprung in Größe und Leistungsfähigkeit der Bürokratie; und für die Dorfleute, die zuvor wohl nie aus ihrer Heimat herausgekommen waren, wird es eine prägende Erfahrung gewesen sein, wenn sie sich den Bautrupps anschlossen. Sollte einer von ihnen an der Göttlichkeit des Pharao gezweifelt haben, nach dieser Erfahrung war es damit vorbei.
Die Entwicklung der sumerischen Stadtstaaten in Mesopotamien vollzog sich |189| ähnlich, aber langsamer und vorsichtiger. Jede Stadt, heißt es in einem Text, war in »Haushalte« unterteilt, zu denen wiederum viele monogame Familien gehörten. Jedem dieser Haushalte stand eine Familie vor, und sie organisierte Landbesitz und Arbeit für alle, bestimmte, dass einige der Familien auf den Feldern, andere in Handwerken arbeiteten; legte die Quoten fest, die alle zu erfüllen hatten und für die sie ihre Rationen bekamen. Den größten und reichsten Haushalten standen theoretisch Götter vor; sie verfügten über einige hundert Hektar Ackerfläche und Hunderte von Arbeitern. Die Männer, die diese Haushalte für die Götter verwalteten, waren in der Regel auch die Herrscher der Stadt, der König wiederum stand dem Haushalt des jeweiligen Schutzgottes der Stadt vor, hatte also dessen Interessen zu vertreten. Machte er seine Sache gut, würde es dem Gott gut gehen; tat er zu wenig oder das Falsche, fielen auch seine Aktien.
Eben das geschah nach 2500 v. u. Z. Verbesserte Methoden in der Landwirtschaft ermöglichten die Ernährung größerer Familien. Da die Bevölkerung wuchs, wurde der Wettbewerb um gutes Ackerland schärfer und mit effektiveren Mitteln ausgetragen. Einige Städte besiegten andere und übernahmen sie samt deren Grundbesitz. Das hatte theologische Konsequenzen, die nicht weniger knifflig waren als die Sterblichkeit der ägyptischen Gottkönige. Wenn ein König im Interesse des Schutzgottes seiner Stadt handelte, was hatte es dann zu bedeuten, wenn ein anderer König, der natürlich die Interessen eines anderen Gottes vertrat, die Stadt des ersten übernahm? Einige Priester ersannen die Theorie der »Tempelstadt«, mit der sie die religiöse Hierarchie und die Interessen der Götter von den Königen lösen konnten. Erfolgreiche Könige traten den Priestern mit der Behauptung entgegen, sie seien eben mehr als nur Stellvertreter eines
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