Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Gottes. So verkündete ein König um 2440 v. u. Z., er sei der Sohn seines Schutzgottes, und es kursierten Gesänge, die von der Reise des Königs Gilgamesch von Uruk ins Jenseits erzählten, wo dieser Unsterblichkeit suchte. Diese einzelnen Gesänge wuchsen nach und nach zum
Gilgamesch-Epos
zusammen, dem weltweit ältesten der überlieferten literarischen Meisterwerke.
Herrscher suchten neue Schauplätze, an denen sie ihre Majestät zur Schau stellen konnten. Der Königsfriedhof von Ur, der größte je in Mesopotamien gemachte Fund, war womöglich ein solcher Ort. Wie die Pyramiden der Pharaonen verweisen anderswo prächtige Grabbeigaben aus Gold und Silber darauf, dass der beerdigte Tote mehr war als ein gewöhnlicher Sterblicher. Im Grab der Königin Puabi wurden die Skelette von 74 Menschen gefunden; sie waren offenbar vergiftet worden, damit sie die Königin auf ihrem Weg ins Jenseits begleiten konnten – Streitigkeiten über das Verhältnis von Königen und Göttern konnten, wie sich daraus ergibt, einfachen Sumerern durchaus nicht gleichgültig sein.
Um 2350 v. u. Z. spitzten sich die Konflikte zu. Es kam zu gewaltsamen Hofintrigen, bewaffneten Eroberungen, revolutionären Umverteilungen von Eigentum und heiligen Rechten. 2334 v. u. Z. gründete ein Mann namens Sargon (was »legitimer Herrscher« heißt und vermuten lässt, dass er sich den Namen nach einem |190| Staatsstreich zugelegt hat) eine neue Stadt: Akkad. Sie liegt wahrscheinlich unter dem heutigen Bagdad und wurde, kein Wunder, bis heute nicht ausgegraben. Wie aus andernorts gefundenen Tontafeln hervorgeht, führte Sargon seine Kriege zunächst nicht gegen andere sumerische Könige, sondern zog durchs heutige Syrien und den Libanon und plünderte so lange, bis er sich eine Söldnerarmee von 5000 Mann leisten konnte. Erst dann wandte er sich gegen andere sumerische Herrscher, unterwarf sich deren Städte mit Diplomatie und Gewalt.
In Lehrbüchern wird Sargon häufig als der erste Staatengründer der Geschichte dargestellt, doch war, was er und seine Nachfolger in Akkad taten, wahrscheinlich mehr oder weniger das Gleiche, was die Pharaonen acht Jahrhunderte zuvor getan hatten, die Ägypten einten. Sargon selbst allerdings erhob sich nicht zu einem Gott, erst sein Enkel Naram-Sin verkündete um 2240 v. u. Z., nachdem er einen Aufstand niedergeworfen hatte, acht der sumerischen Götter wollten ihn in ihre Reihen aufnehmen. Und sumerische Künstler begannen, Naram-Sin gehörnt und überlebensgroß darzustellen, mit den traditionellen Attributen der Göttlichkeit also.
Um 2230 v. u. Z. hatten Sumer und Ägypten, die beiden Zwillingskerne westlicher Entwicklung, die ursprünglichen Kerngebiete im Fruchtbaren Halbmond weit in den Schatten gestellt. Indem sie auf die Umweltveränderungen reagierten, hatten die Menschen Städte gegründet. Diese traten in Wettbewerb miteinander, und in der Folge entstanden immer größere Städte, die von Göttern oder gottähnlichen Königen regiert und von Bürokratien verwaltet wurden. Kämpfe in diesen neuen Kerngebieten trieben die gesellschaftliche Entwicklung voran. Es bildete sich ein Netzwerk von Städten, das die einfacheren Bauerndörfer im heutigen Syrien, in Persien und bis an die Grenze des heutigen Turkmenistan übernahm. Auch auf Kreta begannen die Menschen, Paläste zu bauen; es entstanden imposante Steintempel auf Malta; nach und nach markierten befestigte Städte sogar die Südostküste der Iberischen Halbinsel. Weiter im Norden und Westen hatten Ackerbauern jede nur mögliche Nische besetzt. Selbst am äußersten Rand der westlichen Welt, dort wo an Englands kalten Küsten der Atlantik tobt, investierten unbekannte Baumeister geschätzte 30 Millionen Arbeitsstunden in das rätselhafteste aller dieser Monumente, in Stonehenge. Hätte einer von Dänikens Weltraumreisenden die Erde um 2230 v. u. Z. besucht, er hätte sich wohl gedacht, dass diese intelligenten Äffchen, so stetig, wie sie die gesellschaftliche Entwicklung vorantrieben, keine weiteren außerirdischen Interventionen mehr brauchten.
Der wilde Westen
Wäre dieser Weltraumbewohner allerdings fünfzig Jahre später doch noch einmal vorbeigeflogen, er wäre entsetzt gewesen. Überall, von einem Ende des westlichen Kerngebiets zum anderen, zerfielen Staaten, wurde Krieg geführt, gaben die Bewohner ihre Heimstätten auf. Eine Folge von Zusammenbrüchen (ein nachgerade |191| harmloses Wort für die erschreckende Vielzahl von Massakern, Elend,
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