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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Entwicklung gewesen, wurde es im 2. immer vorteilhafter, im nördlichen Grenzbereich des |197| westlichen Entwicklungskerns zu leben. Um 4000 v. u. Z. hatten Hirten im Gebiet der heutigen Ukraine das Pferd domestiziert, zwei Jahrtausende später begannen Pferdezüchter aus dem heutigen Kasachstan, die kräftigen Tiere vor leichte, zweirädrige Wagen zu spannen. Wenn ein paar Steppennomaden in Wagen herumfuhren, musste dies die Kerngebiete nicht weiter beunruhigen; zu einer ganz anderen Angelegenheit wurde das, wenn sich jemand 2000 Wagen leisten konnte und sie auch einsetzte. Streitwagen sind keine Panzer, mit denen sich feindliche Linien durchstoßen ließen (wie das manche Kostümfilmregisseure so gerne in Szene setzen), doch Heerscharen von Bogenschützen, die in ihren Wagen wendig operieren konnten, setzten die althergebrachten Zusammenstöße eher schwerfälliger Fußsoldaten doch weitgehend außer Kraft.
    Eigentlich lagen die Vorteile der Streitwagen auf der Hand, doch Armeen, die ehedem mit einem bestimmten taktischen System erfolgreich waren, übernehmen so schnell kein anderes. Wer ein Korps gut ausgebildeter Wagenlenker aufstellte, verhalf einer neuen Elite zur Macht und brachte die Hackordnung rein infanteristischer Heere durcheinander. Wenn die lückenhaften Funde nicht täuschen, haben Ägypter und Mesopotamier diese neuen Kampfmethoden nur sehr zögernd übernommen. Neue Staaten dagegen wie jener der rätselhaften Hurriten, die nach 2200 v. u. Z. aus dem Kaukasus nach Nordmesopotamien und Syrien gezogen waren, zeigten sich flexibler. Ihre Kontakte mit den Steppenvölkern verschafften ihnen Zugang zu den neuen Waffen, und ihre lockeren sozialen Verbände setzten deren Übernahme keine so hohen Barrieren entgegen. Weder Hurriten noch Kassiten aus dem heutigen Westiran noch Hethiter aus Anatolien 2* , weder Hyksos aus dem heutigen Israel und Jordanien noch Mykener in Griechenland waren so straff organisiert wie die Ägypter oder die Babylonier; und das war, wenigstens eine Zeitlang, kein Nachteil, denn die Streitwagen verliehen diesen Völkern aus den peripheren Gebieten eine solche kriegerische Überlegenheit, dass sie ihre älteren, reicheren Nachbarstaaten plündern, manchmal sogar erobern konnten. Die Hyksos drangen stetig nach Ägypten vor, errichteten um 1720 v. u. Z. sogar eine eigene Stadt und eroberten 1674 v. u. Z. den Pharaonenthron. 1595 v. u. Z. belagerten die Hethiter Babylon, bald darauf überrannten die Kassiten die Städte Mesopotamiens. Um 1500 v. u. Z. hatten die Hurriten das Königreich Mittani in Nordsyrien, die Mykener das minoische Kreta erobert (Abbildung 4.4).
    Es waren turbulente Zeiten; auf lange Sicht jedoch bewirkte diese Unruhe nur, dass sich das Kerngebiet vergrößerte, die Entwicklung bremste sie nicht. In Mesopotamien führten Versklavungen, Verschleppungen, Massaker und Enteignungen lediglich dazu, dass die Einwanderer aus dem Norden die lokalen Könige verdrängten. In Ägypten änderte sich so gut wie nichts: 1552 v. u. Z. konnten die |198| von Theben geführten Rebellen die Hyksos wieder vertreiben. Um 1500 v. u. Z. hatten sich entlang der nördlichen Grenze des alten Kerngebiets neue Königreiche etabliert. Sie konnten ihre Entwicklung so rasch beschleunigen, dass sie sich ihren Platz im Kerngebiet eroberten und dieses damit vergrößerten. Die großen Staaten waren nun so eng miteinander verknüpft, dass Historiker die nächsten 300 Jahre als »internationale Periode« bezeichnen.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 
4.4: Ein Bund von Brüdern
    Die Königreiche in der internationalen Periode des westlichen Kerngebiets, um 1350 v. u. Z., nachdem sich die Hethiter Kizzuwatna im südöstlichen Anatolien einverleibt, aber noch bevor sie und die Assyrer Mittani zerstört hatten. Die grauen Farbflächen an den Küsten Siziliens, Sardiniens und Italiens zeigen Fundorte mykenischer Keramik.
    Der Handel blühte, wie aus den reichen königlichen Aufzeichnungen hervorgeht. Briefe aus dem 14. Jahrhundert v. u. Z., die im ägyptischen Amarna gefunden wurden, zeigen auch, wie die Könige Babylons und Ägyptens mit denen der neuerdings mächtigen Staaten der Assyrer, Mittani und Hethiter um ihren Status rangelten, Geschenke forderten und Prinzessinnen heirateten. Sie schufen sich eine gemeinsame diplomatische Sprache, nannten einander »Bruder«. Zweitrangige Herrscher dagegen, die keinen Zutritt fanden zum Club der Mächtigen, galten als »Diener«, doch konnte über den Rang

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