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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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begraben. Die Eroberung der Steppen und der Ozeane hatte die Obergrenze von etwa 43 Punkten, die die Römer und Song-Chinesen erreicht hatten, nicht durchstoßen: Sie hatte sie lediglich ein wenig nach oben gedrückt, und um 1750 gab es bereits beunruhigende Zeichen dafür, dass sich die Entwicklung erneut dagegen anstemmen musste. Die Entwicklungskurven der Reallöhne in Abbildung 9.3 veranschaulichen dies. Um 1750 sank der Lebensstandard allenthalben, sogar im dynamischen Nordwesten Europas. Die Zeiten drohten abermals schwerer zu werden.
    Was war da zu tun? Die Bürokraten in Beijing, die Salonzirkel in Paris und alle einigermaßen selbstbewussten Intellektuellen irgendwo zwischendrin warteten mit den unterschiedlichsten Theorien auf. Die einen waren der Meinung, aller Wohlstand werde von den Bauern produziert. Folglich drängten sie die Regierenden, denjenigen, die Sümpfe trockenlegten und Berghänge terrassierten, Steuererleichterungen zu gewähren. Andere behaupteten, aller Wohlstand verdanke sich dem Handel. Also verwendeten die Regierenden (oft genug dieselben) noch mehr Mittel darauf, ihre Nachbarn an den Bettelstab zu bringen, indem sie deren Handelsgeschäfte übernahmen.
    Die Maßnahmen waren vielfältig, doch kristallisierte sich prinzipiell heraus, dass die Regierenden im Westen (die sich schon seit dem 15. Jahrhundert so erbittert bekämpften) Krieg für die Lösung ihrer Probleme hielten. Hingegen waren die Regierenden im Osten (die sich im Allgemeinen kriegerisch zurückgehalten hatten) vom Gegenteil überzeugt. Japan belegte dies am eindeutigsten. Nachdem sich das Land 1598 aus Korea zurückgezogen hatte, kamen die Regierenden zu dem Schluss, dass mit Eroberungen nichts zu gewinnen war, und in den 1630er Jahren stellten sie überdies fest, dass sie beim Überseehandel nur wertvolle Güter wie Silber und Kupfer einbüßten. Chinesische und niederländische Kaufleute (die Niederländer waren 1640 die einzigen Ausländer, die überhaupt nach Japan einreisen durften) lebten in winzigen Ghettos in Nagasaki, und die einzigen Frauen, |466| die Zutritt zu ihren Quartieren hatten, waren japanische Prostituierte. Kein Wunder also, dass der Handel mit dem Ausland vor sich hin kümmerte.
    Durch seine Insellage vor feindlichen Angriffen geschützt, ging es Japan bis etwa 1720 prächtig. Die Bevölkerungszahl verdoppelte sich, und Edo entwickelte sich zur größten Stadt der Welt. Reis, Fisch und Soja verdrängten billigere Nahrungsmittel vom Speiseplan der Japaner. Und es herrschte Frieden: Nachdem die Bauern 1587 ihre Waffen bei den Truppen Toyotomi Hideyoshis abgeliefert hatten, legten sie sich nie wieder neue Schwerter und erst recht keine Gewehre zu. Und selbst die stolzen Samuraikrieger willigten ein, ihre Streitigkeiten nur noch durch Schwertkämpfe auszutragen, worüber die Amerikaner, die sich in den 1850er Jahren den Weg nach Japan erstritten, nicht schlecht staunten. Ein Admiral gab zu Protokoll:
     
    Diesen Menschen war der Gebrauch von Feuerwaffen anscheinend so gut wie unbekannt. Einer meiner Offiziere schnappte das japanische Wort für Gewehr auf, mit dem ein sehr gebildeter Mann den Umstehenden seine Beschlagenheit unter Beweis stellte. Ein Amerikaner, der von kleinauf an den Anblick von Kindern mit Spielzeugpistolen gewöhnt ist, kann nicht umhin, in der Unkenntnis von Waffen etwas Absonderliches zu sehen, das von ursprünglicher Unschuld und arkadischer Einfalt zeugt. Wir waren nicht gewillt, hier als Störenfriede aufzutreten. 47
     
    Nach 1720 trübte sich das Bild jedoch zunehmend ein. Japan platzte aus allen Nähten. Ohne einen entscheidenden technischen Durchbruch war es unmöglich, aus dem überbevölkerten Land noch mehr Nahrungsmittel, Treibstoff, Bekleidung und Wohnstätten herauszuholen, und ohne Außenhandel konnten diese Dinge auch nicht importiert werden. Die Bauern Japans legten einen erstaunlichen Erfindungsreichtum an den Tag. Die Regierenden erkannten, welchen Schaden die Gier nach Brennmaterial ihren Wäldern zugefügt hatten, und begannen, sie zu schützen. Die japanische Kulturelite entwickelte einen strengen ästhetischen Minimalismus, um die Ressourcen des Landes möglichst zu schonen. Doch die Lebensmittelpreise stiegen, Hunger breitete sich aus, und unzufriedene Massen trugen ihren Protest auf die Straße. Arkadien sah anders aus.
    Japan konnte diesen drastischen Weg nur beschreiten, weil China, das einzige Land, das eine ernst zu nehmende Gefahr für seine Sicherheit

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