Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
darstellte, sich in die gleiche Richtung bewegte. In China konnte die Bevölkerung zwar aufgrund der ausgedehnten, offenen Grenzen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts getrost weiter wachsen, doch auch die Qing-Regierung schottete das Land zunehmend gegen die Gefahren aus der Welt jenseits der Ozeane ab. 1760 wurden ausländische Handelsniederlassungen auf Guangzhou beschränkt, und als Lord Macartney im Auftrag der Britischen Ostindiengesellschaft 1793 nach China reiste, um sich über die Schikanen zu beklagen, verwies ihn Kaiser Qianlong herrisch in die Schranken. »Raffinierte Gegenstände«, so schrieb er, »haben wir nie geschätzt, und wir bedürfen in keiner Weise der Erzeugnisse Englands. Weitere Beziehungen stehen |467| nicht im Einklang mit den Gesetzen des Himmlischen Reiches … und wären für Ihr Land nicht von Vorteil.« 48
Im Westen teilten nur wenige Regierende Qianlongs Glauben an die Abkapselung. Die Welt, in der sie lebten, wurde nicht von einem einzigen großen Kaiserreich beherrscht, sondern sie war geprägt von permanenten territorialen Streitereien und Machtverschiebungen. Die westlichen Herrscher gaben sich der Überzeugung hin, dass die Reichtümer der Welt zwar endlich seien, sie sich aber gegebenenfalls ein größeres Stück vom Kuchen schnappen könnten. Jeder Gulden, jeder Franc und jedes Pfund, das sie für Kriege ausgäben, würde sich eines Tages auszahlen – und solange auch nur noch ein Monarch dieser Ansicht war, mussten alle anderen ebenfalls für den Kampf gerüstet sein. In Westeuropa hörte das Wettrüsten nie auf.
Die europäischen Händler des Todes verbesserten die Werkzeuge ihres Gewerbes ständig (bessere Bajonette, vorgefertigte Schießpulverpatronen, schnellere Abzugsmechanismen), aber den eigentlichen Durchbruch brachte die systematische Organisation der Gewalt. Zucht und Ordnung – in Form von Uniformen, festgelegten Dienstgraden und Erschießungskommandos nun auch für Offiziere, die taten, was sie wollten (die einfachen Soldaten waren schon immer brutal bestraft worden, wenn sie Befehlen nicht Folge leisteten) – wirkten Wunder, und eine praktische Ausbildung, die das ganze Jahr über andauerte, erzeugte Kampfmaschinen, die in der Lage waren, komplexe Manöver auszuführen und dabei gleichmäßige Salven aus ihren Waffen abzufeuern.
Solche disziplinierten Kriegshunde lieferten mehr Tote für ihr Geld ab. Die Niederländer waren die Ersten, die der billigen, aber üblen Tradition ein Ende machten, Kriege an Privatunternehmer zu übertragen. Solche Warlords hatten mörderische Haufen angeheuert, ihre Söldner aber nur selten oder gar nie bezahlt und es ihnen stattdessen überlassen, sich ihren Sold bei der Zivilbevölkerung selbst zu holen. Die anderen westeuropäischen Länder taten es den Niederländern nach und nach gleich. Krieg war nach wie vor die Hölle, aber jetzt war es immerhin eine geregeltere Hölle.
Das Gleiche galt auf See, wo sich der Vorhang über die Zeit der Totenkopfflaggen und der vergrabenen Schätze senkte. England wollte nichts mehr von seiner Francis-Drake-Vergangenheit wissen und führte nun Krieg gegen die Piraterie. Als der berüchtigte Captain Morgan 1671 den Friedensvertrag zwischen England und Spanien missachtet und ein paar spanische Kolonien in der Karibik überfallen hatte, war er dafür mit Unterstützung seiner einflussreichen Hintermänner in den Adelsstand erhoben und zum Gouverneur von Jamaika ernannt worden. Der nicht weniger berüchtigte Captain Kidd hingegen wurde 30 Jahre später, nur weil er ein britisches Schiff überfallen hatte, nach London geschleppt, wo er erfahren musste, dass seine einflussreichen Hintermänner (einschließlich des Königs) ihm nicht helfen konnten oder wollten. So gab er seinen letzten Schilling für eine Buddel Rum aus und randalierte, bevor man |468| ihm die Schlinge um den Hals legte: »Ich bin der Unschuldigste von allen!« 49 – woraufhin das Seil riss. Das hätte ihm früher vielleicht einmal das Leben gerettet, aber diese Zeiten waren vorbei. Ein zweites Seil vollendete das Werk. Als die Marine 1718 den Oberpiraten Edward Teach, genannt Blackbeard, in einen Hinterhalt lockte, machte niemand auch nur den Versuch, ihm zu helfen. Blackbeard zeigte sich zählebiger als Kidd: Fünf Gewehrkugeln und 25 Schwerthiebe streckten ihn schließlich nieder. Im selben Jahr wurden im Karibischen Meer 25 Piratenüberfälle gezählt, 1726 waren es nur noch sechs. Die Zeit der gesetzlosen Abenteurer war
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