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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Disput. Zu einer Zeit
    Schien uns der Boden unseres Alltagsdaseins
    Zu heiß geworden, um darauf zu treten.
    Oft sagt’ ich da (und später, in Erinnerung
    An damals, oft): »Welch eine Parodie
    Auf die Geschichte, auf Vergangenheit
    Und Zukunft, ist dies hier!« 2
     
    |475| Fürwahr, was für eine Parodie – zumindest der Vergangenheit, allerdings durchaus nicht dessen, was die Zukunft noch bringen sollte. Die allgemeine Gärung stand in Wirklichkeit erst am Beginn, und im Lauf des folgenden Jahrhunderts geriet die westliche Entwicklung außer Rand und Band. In jeder Grafik (wie Abbildung 10.2), deren vertikale Achse ausreichend Raum für die 906 Punkte bietet, bei denen der Westen gegenwärtig angelangt ist, schrumpft das Auf und Ab, schrumpft jeder Vorsprung und Rückstand, schrumpfen alle Triumphe und Tragödien, die in den ersten neun Kapitel dieses Buches ausgebreitet wurden, zur Bedeutungslosigkeit zusammen. Und alles dank dessen, was Boulton verkaufte.
    Das Glück des Dampfes
    Die Welt hatte natürlich schon vor Boulton »Kraft« gehabt. Was er verkaufte, war
bessere
Kraft. Über Jahrmillionen hinweg war nahezu die gesamte Kraft, mit der sich Gegenstände oder Erdreich bewegen ließen, Muskelkraft gewesen. Muskeln leisten zwar Bemerkenswertes – mit ihrer Hilfe wurden die Pyramiden und der Grand Canal in Irland gebaut –, doch sie haben ihre Grenzen. Am offenkundigsten ist, dass Muskelkraft von Arbeitstieren und menschlichen Arbeitskräften stammt, und diese benötigen Nahrung, Schutz, häufig Brennstoff und Kleidung. All dies wird aus Pflanzen oder anderen Tieren gewonnen, die ebenfalls Nahrung, Schutz etc. brauchen. Und alles in dieser Kette erfordert letztlich Land. Während sich also in den Kerngebieten des 18. Jahrhunderts Land in ein knappes Gut verwandelte, wurde Muskelkraft teuer.
    Jahrhundertelang hatten Wind und Wasser die Kraft der Muskeln verstärkt, hatten Schiffe angetrieben und Mühlsteine bewegt. Doch Wind und Wasser stoßen ebenfalls an Grenzen. Sie sind nur an bestimmten Orten verfügbar; Flüsse können im Winter zufrieren oder im Sommer versiegen, und wann immer die Luft drückend wird, geraten Windmühlenflügel ins Stocken.
    Was man brauchte, war eine Kraft, die transportabel war, sodass man sie zum Ort der Arbeit bringen konnte, statt die Arbeit zu ihr zu tragen; sie musste verlässlich sein, sodass sie nicht von den Wetterverhältnissen abhing; und raumneutral, sodass sie nicht Abertausende von Hektar Wald- und Ackerland verschlang. Die Eisenhüttenmeister von Kaifeng erkannten im 11. Jahrhundert, dass Kohle eine Antwort bot, aber auch die hatte ihre Grenzen: Sie konnte Energie nur als Hitze freisetzen.
    Der Durchbruch – Hitze in Bewegung zu verwandeln – gelang im 18. Jahrhundert und begann in den Kohlebergwerken selbst. Entwässerung, im Bergbau Wasserhaltung genannt, war dort ein stetes Problem. Die Stollen ließen sich zwar mit Muskelkraft und Eimern entwässern (ein findiger englischer Zechenbesitzer spannte 500 Pferde vor eine Eimerkette), aber diese Methode war ungemein teuer. Im Rückblick erscheint die Lösung offenkundig: Verwende zur Wasserhaltung |476| Maschinen, die mit Kohle aus der Mine gefüttert werden, statt Tiere, die Hafer fressen. Doch das war leichter gesagt als getan.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 10.2. Allgemeine Gärung
    Die gesellschaftliche Entwicklung in den letzten beiden Jahrtausenden zeigt den vom Westen angeführten rasanten Aufstieg seit Beginn des 19. Jahrhunderts, der dem ganzen Drama der vorangegangenen Weltgeschichte spottete.
    Die östlichen und westlichen Kerngebiete benötigten im 18. Jahrhundert Kohle, und beiden machte das Grubenwasser zu schaffen, doch es waren britische Maschinenbauer, die eine Antwort darauf fanden. Wie in Kapitel 9 gesehen, begünstigte die atlantische Wirtschaft hier, am äußersten Nordwestsaum Europas, eine halbwissenschaftliche Maschinentüftelei. Aus ihr erwuchsen genau die richtigen Fachleute, die zur Lösung des Problems erforderlich waren, verband sich bei ihnen doch Geschäftstüchtigkeit mit praktischer Erfahrung in Metallverarbeitung und einigen physikalischen Grundkenntnissen. Solche Männer gab es auch in China und Japan, aber sie waren selten, und soweit wir wissen, hat keiner von ihnen je an einer mit Kohle befeuerten Maschine gebastelt.
    Die erste funktionstüchtige Pumpe im Westen namens »Miner’s Friend« wurde 1698 in England patentiert. Sie verbrannte Kohle, um Wasser zum Kochen zu bringen,

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