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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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und ließ den Dampf in einem Behälter kondensieren, sodass Unterdruck entstand. Per Hand wurde dann ein Ventil geöffnet und über eine Saugleitung Wasser aus der Grube in den Behälter gehoben. Nun schloss man das Ventil wieder und heizte ein, um das Wasser, wiederum mit Dampfkraft, über den Auslass in eine Druckleitung zu pressen. Dieser der Schwerkraft trotzende |477| Prozess von Verdampfung und Kondensation wiederholte sich ein ums andere Mal.
    Die Miner’s Friend war langsam, bewältigte nur einen Wasserhub von zwölf Metern und hatte die entschieden unfreundliche Neigung zu explodieren, aber sie war (gewöhnlich) immer noch billiger, als Hunderte von Pferden zu füttern. Sie inspirierte auch weitere Konstruktionsexperimente, doch selbst die verbesserten Maschinen blieben wahre Energieschleudern. Weil ein und derselbe Kessel zum Verdampfen wie zur Kühlung des Wassers benutzt wurde, um den Unterdruck zu erzeugen, musste der Behälter für jeden Hub wieder neu erhitzt werden. Selbst die besten Maschinen wandelten weniger als ein Prozent der Kohleenergie in Kraft zum Wasserpumpen um.
    Jahrzehntelang beschränkte dieser geringe Wirkungsgrad die Dampfkraft auf die alleinige Aufgabe der Grubenentwässerung, und selbst hier forderte ihr Einsatz einen erheblichen Preis: »Der hohe Brennstoffverbrauch dieser Maschinen stellt einen gewaltigen Nachteil für die Gewinne unserer Bergwerke dar«, klagte ein Minenfachmann, »diese hohe Belastung kommt fast einem Verbot gleich.« 3 Wer als Unternehmer die Kohle erst aus den Bergwerken zu seinen Fabriken schaffen musste, für den waren Dampfmaschinen schlicht zu teuer.
    Dafür waren Maschinen ein Plaisier für Gelehrte. Die Universität Glasgow kaufte die Miniaturversion einer Dampfmaschine, doch als keiner der Professoren sie in Gang zu bringen vermochte, landete sie 1765 in der Werkstatt von James Watt, der für die Universität mathematische Instrumente fertigte. Watt bekam sie in Gang, doch ihr schlechter Wirkungsgrad war dem tüchtigen Handwerker ein Gräuel. Fortan machte er sich neben seinen anderen Arbeiten besessen auf die Suche nach besseren Wegen zur Wasserverdampfung und -kondensation, bis ihm eines schönen Sonntagnachmittags
     
    der Gedanke in den Kopf schoss, dass der Dampf als elastischer Körper in ein Vakuum strömen würde und, falls eine Verbindung zwischen dem Zylinder und einem ausgepumpten Kessel hergestellt würde, er in diesen einströmen und dort kondensieren würde, ohne den Zylinder abzukühlen. … Beim Golfhaus angelangt, hatte ich die ganze Sache in meinem Kopf fertig. 4
     
    Da es Sonntag war, blieb dem gottesfürchtigen Mann zunächst nichts anderes übrig, als Däumchen zu drehen, doch am Montagmorgen machte sich Watt sofort daran, ein neues Modell zusammenzuschrauben, bei dem der Kondensator vom Verdampfungszylinder getrennt war. Statt einen Zylinder abwechselnd zu erhitzen und zu kühlen, blieb der Kessel nun heiß, der Kondensator dagegen kalt, was den Kohleverbrauch um beinahe vier Fünftel senkte.
    Dies warf ein Bündel neuer Probleme auf, doch Watt werkelte Jahr um Jahr unbeirrt weiter. Seine Frau starb, sein Finanzier ging Bankrott, und immer noch schaffte er es nicht, einen verlässlichen Betrieb der Maschine zu gewährleisten. Doch 1774, gerade als Watt die Tüftelei für eine beständigere Arbeit an den Nagel |478| hängen wollte, kam ihm der Eisenhäuptling Matthew Boulton zu Hilfe, indem er die Beteiligung von Watts verschuldetem Finanzier erwarb und den Maschinenbauer nach Birmingham verfrachtete. Boulton brachte nicht nur Geld mit, sondern auch den genialen Eisenspezialisten und Erfinder John »Iron Mad« Wilkinson. (Wilkinson glaubte, dass alles aus Eisen gemacht werden sollte, einschließlich seines eigenen Sarges.)
    Nur sechs Monate später schrieb Watt seinem Vater – für mich die zweitgrößte Untertreibung aller Zeiten (zur größten komme ich noch weiter unten in diesem Kapitel) –, dass seine Maschine nun »recht erfolgreich« sei 5 . Bei einer großen öffentlichen Vorführung im März 1776 pumpte die Maschine von Watt und Boulton in genau 60 Minuten eine Wassersäule von 20 Meter aus einem Schacht herauf und verbrannte dabei nur ein Viertel so viel Kohle wie ältere Dampfmaschinen.
    Kein Wunder, dass Boulton überschwänglich war, als Boswell in jenem Monat Soho besuchte. Nun, da die Maschinen auch außerhalb der Zechen selbst kosteneffizient waren, konnten die Bäume in den Himmel wachsen. »Wenn wir … 100

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