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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Großbritanniens. Bereits 1799 notierte ein Reisender über die amerikanischen Pioniere: »Überhaupt haben sie einen unüberwindlichen Widerwillen gegen Bäume; wo sich jemand anbaut, werden sie alle weggehauen, und nicht einer wird übrig gelassen.« 18 Hundert Jahre später war diese Abneigung noch gewachsen, unterstützt von Entwurzelungsmaschinen, Flammenwerfern und Dynamit.
     
    Ein beispielloser Aufschwung der Landwirtschaft ernährte nicht minder erstaunliche Städte. 1800 gab es 79   000 New Yorker, 1890 waren es 2,5 Millionen. Unterdessen wurde Chicago zum Weltwunder: 1850 eine Präriestadt von 30   000 Einwohnern, war es 1890 die sechstgrößte Stadt der Welt mit über einer Million |492| Menschen. Chicago ließ Coketown vornehm aussehen. Ein erstaunter Kritiker schrieb:
     
    Für sie und durch sie waren die gesamten Mittelstaaten, war der gesamte Große Nordwesten erfüllt vom Widerhall lebhaften Handels und Gewerbes; Sägemühlen kreischten, Fabriken, deren Rauch den Himmel verdunkelte, rasselten und flammten; Räder drehten sich, Kolben schossen in ihren Zylindern auf und nieder; Zahnräder griffen in Zahnräder; Treibriemen legten sich fest um die Scheiben von riesigen Rädern; und Bessemerbirnen in Eisenhütten spien ihren Sturmhauch flüssigen Stahls in die Atmosphäre. Es war die Herrschaft, die widerstandslose Unterwerfung dieser ganzen zentralen Welt der Seen und Prärien. 19
     
    Bei der Ausbreitung der Industrialisierung gen Osten nach ganz Europa bewirkte Nachahmung weit mehr, als es die Kolonialisierung vermocht hätte. 1860 war Großbritannien noch die einzige durchindustrialisierte Wirtschaft und sorgte für die Hälfte der weltweiten Eisen- und Textilproduktion, doch zuerst in Belgien (das über gute Kohle- und Erzvorkommen verfügte) und dann entlang eines Bogens von Nordfrankreich durch Deutschland bis nach Österreich brach das Zeitalter des Dampfes und der Kohle an. Bis 1910 hatten die ehemaligen Peripherieländer Deutschland und USA die Vorzüge ihrer Rückständigkeit entdeckt und ihren Lehrmeister überflügelt. Die Deutschen, mit weniger Kohle gesegnet als die Engländer, lernten, den Brennstoff effizienter zu nutzen, und da es ihnen an Arbeitern mangelte, die – hervorgegangen aus Generationen der praktischen Ausbildung am Arbeitsplatz – einen sechsten Sinn dafür entwickelt hatten, wann genau ein Ventil zu schließen oder ein Klöppel anzuziehen war, führte das Kaiserreich technische Ausbildungsgänge ein.
    Die Amerikaner, denen alte, kapitalstarke Familienunternehmen fehlten, entdeckten einen anderen Vorteil. Die Veräußerung von Anteilen, um Geld für große moderne Unternehmen aufzunehmen, trennte die Eigentümer wirkungsvoll von den angestellten Managern, die sich frei fühlten, mit Zeit- und Bewegungsstudien, Fließbändern und der neuen Wissenschaft vom Management zu experimentieren. All dieses Buchwissen kam den Engländern ziemlich lächerlich vor, doch in neuen Hochtechnologiesektoren wie der optischen und chemischen Industrie ließen sich mit etwas Wissenschaft und Managementtheorie bessere Ergebnisse erzielen als durch Intuition. Nach 1900 war es Großbritannien mit seinem Glauben an Improvisation, Durchwurstelei und begnadete Amateure, das langsam lächerlich auszusehen begann.
    Deutschland und die Vereinigten Staaten bahnten der zweiten industriellen Revolution, wie sie von Historikern häufig genannt wird, den Weg, indem sie in systematischerer Weise wissenschaftliche Erkenntnisse für den technischen Fortschritt nutzbar machten. Sie ließen Phileas Foggs Großtaten bald alt aussehen und verwandelten das 20. Jahrhundert in ein Zeitalter des Öls, der Automobile und Flugzeuge. 1885 entdeckten Gottlieb Daimler und Carl Benz, wie man mit |493| Benzin (bislang ein geringwertiges Nebenprodukt von Lampenkerosin) effizient einen Verbrennungsmotor befeuern konnte, und im selben Jahr perfektionierten britische Mechaniker das Fahrrad. Mit einer Kombination von leichten neuen Maschinen und robusten neuen Chassis ließen sich Autos und Flugzeuge bauen. 1896 waren Automobile noch so langsam, dass ihnen Zuschauer beim ersten amerikanischen Autorennen hinterherriefen: »Holt euch Pferde!« 20 1913 indes verließen eine Millionen Autos die amerikanischen Fabriken. Bis dahin hatten zwei Fahrradmechaniker aus North Carolina, die Brüder Wilbur und Orville Wright, Flügel an einen Verbrennungsmotor geschraubt und das Ganze zum Fliegen gebracht.
    Öl verwandelte die

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