Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
irgendwann Mitte des 6. Jahrhunderts u. Z. über die für den Westen stiegen und der Westen die Führung Ende des 18. Jahrhunderts zurückerlangte.) Dass sich die Werte für Ost und West in der Antike einander annäherten, dass der Osten anschließend 1200 Jahre lang die Führung in Sachen gesellschaftlicher Entwicklung übernommen hat, widerlegt die Theorien langfristiger Determination nicht, ebenso wenig, wie das Faktum, dass der Westen seit Ende der Eiszeit fast durchgängig führend war, die Theorien kurzfristig-zufälliger Ereignisse in Frage stellt. Aber die Fakten zeigen, dass eine erfolgreiche Theorie sehr viel durchdachter sein und sehr viel mehr Beweise berücksichtigen muss, als dies bislang der Fall war.
Bevor wir diese Grafiken verlassen, möchte ich noch auf einige andere Muster hinweisen. Sie sind bereits auf Abbildung 3.7 zu erkennen, Abbildung 3.8 aber verdeutlicht sie noch. Es ist eine Darstellung mit konventionell linearer Skalierung, zeigt aber nur die dreieinhalb Jahrtausende von 1600 v. u. Z. bis 1900 u. Z. Weggelassen sind die enormen Werte für das Jahr 2000, sodass die vertikale Achse gestreckt werden kann und wir auch die Werte früherer Epochen erkennen können. Mit dem gewählten Ausschnitt ließ sich aber ebenfalls die horizontale Achse strecken und damit der Wandel in der Zeit verdeutlichen.
Zweierlei scheint mir hieran bemerkenswert. Zum ersten die Spitze der westlichen Werte im 1. Jahrhundert u. Z. mit etwa 43 Punkten, gefolgt von einem anschließenden langsamen Niedergang. Entsprechend sehen wir rechts davon, um 1100 u. Z., in der gleichen Höhe eine Spitze der Werte im Osten, und auch hier schließt sich ein Niedergang an. Noch weiter rechts, um 1700 u. Z., erreichen Ost und West erneut Werte in den niedrigen Vierzigern, diesmal aber ohne anschließenden Niedergang. Vielmehr beschleunigt sich nun die Entwicklung, bevor 100 Jahre später, mit Beginn der industriellen Revolution, die westliche Linie durch die Decke stößt.
Gab es eine Art Schwelle in den niedrigen Vierzigern, an der beide, Rom und Song-China, gescheitert sind? In der Einleitung habe ich auf Kenneth Pomeranz’ Bemerkung in
The Great Divergence
verwiesen, dass Osten wie Westen im 18. Jahrhundert in einen ökologischen Engpass geraten seien, der ihre gesellschaftliche Entwicklung eigentlich hätte stagnieren und sinken lassen müssen. Dazu aber sei es darum nicht gekommen, weil die Engländer – mehr durch Glück als durch |173| Überlegung – die Früchte ihrer Ausplünderung der Neuen Welt mit der Energie fossiler Brennstoffe verbinden und auf diese Weise die überkommenen ökologischen Beschränkungen hinter sich lassen konnten. Könnte es sein, dass die Römer und Song-Chinesen in ähnliche Engpässe gerieten, als ihre gesellschaftliche Entwicklung Punktwerte leicht über vierzig erreichte, dass sie diesen Engpass aber nicht überwinden konnten? Wenn dem so wäre, dann könnte das dominante Muster der letzten 2000 Jahre eines langer Wellen gewesen sein, in denen große Imperien sich langsam den 40 Punkten näherten, das Maximum erreichten und zurückfielen, bis sich dann im 18. Jahrhundert ein ganz anderes Muster ergab.
Das zweite, das mir an Abbildung 3.8 auffällt, ist, dass man nicht nur diese horizontale, sondern auch zwei vertikale Linien einzeichnen kann. Die erste (B) im 1. Jahrhundert u. Z., wo Osten und Westen Spitzenwerte erreichen, auch wenn der Osten deutlich weniger Punkte hat als der Westen (34,13 gegenüber 43,22). Statt uns allein auf den Westen mit seinem Maximalwert von 40 plus zu konzentrieren, sollten wir vielleicht nach Ereignissen Ausschau halten, die beide Enden der Alten Welt betrafen und die gesellschaftliche Entwicklung bei Römern wie Han-Chinesen abwürgten, unabhängig davon, welche Stufe sie erreicht hatten.
Eine weitere vertikale Linie (C) können wir bei 1300 u. Z. ziehen. Auch da folgen die Werte von Osten und Westen einem ähnlichen Muster, wobei diesmal der Westen deutlich niedriger liegt als der Osten (30,73 gegen 42,66 Punkte). Der Wert im Osten ist da bereits seit 100 Jahren im Sinken, nun schließt sich der westliche Wert dieser Bewegung an, bis beide Linien ab 1400 u. Z. wieder zu steigen beginnen und sich diese Bewegung um 1700 deutlich beschleunigt. Auch hier, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, sollten wir weniger auf den Grenzwert achten, sondern nach globalen Ereignissen fragen, die die Entwicklung im Osten und Westen seit dem 14. Jahrhundert in gleich gerichtete
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