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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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voll geschrieben. Aber auch etwas anderes kam zum Vorscheine: ich fand nämlich viele zerstreute Blätter und Hefte in dem Buche liegen, die sämtlich die Handschrift meines verstorbenen Vaters trugen. Ich sah sie näher an und dachte mir: also darum war nichts von ihm in der Truhe zu finden gewesen, weil er alles hieher gelegt hatte, und weil alles vergessen worden war.
    Bevor ich in dem Buche las, wollte ich eher diese Dinge des Vaters anschauen, Blatt nach Blatt ging durch meine Hände, da waren Lieder, ferner Bemerkungen und Abhandlungen – auch ein Märchen war da – Erzählungen aus seinem Leben – Worte an uns Kinder – ferner ein morsches, zerfallendes Kalenderblatt, darauf mit zerflossener, entfärbter Tinte geschrieben stand: ›Heute mit Gottes Segen mein geliebter erster Sohn geboren.‹ – – Ich las in vielem, und es deuchte mir, das Herz, dem ich zwanzig Jahre nachgejagt hatte, sei gefunden: es ist das meines Vaters, der vor langem gestorben war. Ich nahm mir vor, von diesen Schriften der Mutter nichts zu sagen, sondern sie in mein Denkbuch zu legen und sie mir da auf ewig aufzubewahren.
    Ich konnte nun in dem Lederbuche nichts lesen – es klangen mir längst vergessene Worte in den Ohren, von denen mir die Mutter erzählt hat, daß er sie einstens gesagt: »Ich darf es dem Knaben nicht zeigen, wie sehr ich ihn liebe.« Ich ging in den Hof hinab und sah trotz des Regens, der niederströmte, auf jedes Brett, das er einst befestigt, auf jeden Pflock, den er einst eingeschlagen, und im Garten auf jedes Bäumchen, das er gesetzt oder sonst mit Vorliebe gehegt hatte. Die Kiste mit den Büchern des Doktors und mit den anderen Dingen hatte ich in mein Zimmer hinab bringen lassen.
    Als ich wieder in die Wohnung zurück kam, saßen die Mutter und die Gattin noch immer in dem Hofstübchen beisammen und redeten. Die Mutter erzählte mir, wie so gut meine Gattin sei, daß sie nun schon so lange hier sitzen und von allem Erdenklichen geplaudert haben, und daß sie gar nicht geglaubt hätte, wie eine Stadtfrau gar so gut, lieb und einfach reden könne, als sei sie hier geboren und erzogen worden.
    Spät am Abende, da sich die Wolken zerrissen hatten und, wie es gewöhnlich in unserer Heimat ist, in dichten, weißen Ballen über den Wald hinaus zogen, als schon im Westen hie und da die blassen, goldenen Inseln des heitern Himmels sichtbar wurden und manche mit einem Sternchen besetzt waren, saßen wir wieder alle, auch der Stiefvater und der Schwager, die am Morgen weggefahren und nun wieder gekommen waren, in der Wohnstube an dem großen Tische beisammen, man zündete nach und nach die Lichter an, und ich erzählte ihnen von meinem Funde. Kein Mensch in unserem Hause hatte von der Truhe gewußt. Die Mutter entsann sich wohl, daß ein solches Ding, da wir noch kaum geboren waren, immer auf der Diele gestanden, und daß alter Kram darin gewesen sei; aber wie es fortgekommen und was damit geschehen sei, könne sie sich nicht erinnern, habe auch in ihrem ganzen Leben nicht mehr an die Truhe gedacht. Wer das Lederbuch hinzu gelehnt, sei ganz unbegreiflich, wenn es nicht etwa der Großvater gewesen, der es in der ersten Verwirrung bei des Vaters Tode, um es den Augen der Mutter zu entziehen, an die Truhe legte und dort vergaß. Auch auf die Bildsäule kam die Rede, und als ich um ihren Ursprung fragte, wußte ihn niemand, sie sei eben immer in dem Gange gestanden, und keiner habe darauf gedacht, warum sie da stehe, und auf welchem Untersatze sie stehe. Nur könne sie aus keiner unsrigen Feldkapelleherrühren, weil unsere Felder nie eine Kapelle gehabt hätten.
    Während wir so sprachen, standen die winzig kleinen Kinder der Schwester herum, horchten zu, hielten die trotzigen Engelsköpfchen ganz stille, und manches von ihnen hatte ein altes Blatt aus der Truhe in der Hand, auf dem Blumen oder Altäre abgebildet waren, die einst ihre Ur-Ur-Großmutter in geheimer Wonne an das Herz gedrückt hatte, oder auf dem Verse standen, die von Schmerzen und Untaten sangen, über die hundert Jahre gegangen waren.
    Das Lederbuch lag aufgeschlagen auf dem Tische, und bald das eine, bald das andere von uns blätterte darinnen und sah neugierig nach. Aber keinem war es für den Augenblick möglich, die Schrift zu entziffern, oder die Gedanken zu reimen, die einzeln herausfielen. Es müsse des Doktors Leben darin sein, sagte die Mutter, denn in manchen Abenden, wo der Vater darinnen gelesen, indes sie mit den Kindern und der

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