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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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nahe daran war, vor Schreck den Verstand zu verlieren. Er konnte sich nicht so leicht von einer Vorstellung entwöhnen, die so lange sein ganzes Leben ausgefüllt hatte, und meinte bis zum letzten Augenblicke, der richtige Zeitpunkt sei noch nicht verpaßt. In Stunden des Zweifels ergab er sich dem Trunke, der durch seine widrige Betäubung seinen Kummer verscheuchte. Er wußte vielleicht selbst nicht, wie notwendig ihm seine Frau in dieser Zeit war. Sie war für ihn eine lebendige Ausrede, und tatsächlich hatte mein Stiefvater sich beinahe in die fixe Idee eingelebt, sobald er seine Frau begraben haben werde, die ihn zugrunde gerichtet habe, werde alles wieder in guten Gang kommen. Meine arme Mutter verstand ihn nicht. Als echte Träumerin konnte sie auch den ersten Schritt in die feindliche Wirklichkeit nicht ertragen: sie wurde heftig, verdrossen, zänkisch und stritt sich alle Augenblicke mit ihrem Manne, der eine Art von Vergnügen darin fand, sie zu quälen, und sie unaufhörlich zur Arbeit trieb. Aber die Verblendung, die fixe Idee meines Stiefvaters und seine Narrheit machten ihn beinah unmenschlich und gefühllos. Er lachte nur und schwur, bis zum Tode seiner Frau die Geige nicht wieder in die Hand zu nehmen, was er ihr selbst mit grausamer Offenherzigkeit erklärte. Meine Mutter, die ihn trotz alledem bis zu ihrem Tode leidenschaftlich liebte, konnte ein solches Leben nicht ertragen. Sie wurde dauernd krank, dauernd leidend und lebte in ununterbrochenen Qualen; und bei all diesem Leide lastete noch auf ihr die ganze Sorge für die Ernährung der Familie. Zuerst richtete sie einen Mittagstisch ein, indem sie Speisen für Abholer zubereitete. Aber ihr Mann entwendete ihr heimlich all ihr Geld, und sie mußte oft statt des Essens ihren Kunden das leere Geschirr wieder zurückschicken. Als B... uns besuchte, beschäftigte sie sich damit, Wäsche zu waschen und alte Kleider aufzufärben. Auf diese Weise fristeten wir kümmerlich in unserer Dachstube unser Leben.
    B... erschrak über unsere entsetzliche Armut. „Hör mal“, sagte er zu meinem Stiefvater, „was du da sagst, ist alles Unsinn; davon, daß sie dein Talent vernichtet hätte, kann ja nicht die Rede sein. Sie ist es, die dich ernährt, und du, was tust du?“
    „Ich tue nichts!“ antwortete mein Stiefvater.
    Aber B... kannte gar noch nicht einmal alle Nöte meiner Mutter. Ihr Mann brachte häufig eine ganze Bande ausgelassener, streitsüchtiger Kumpane mit sich nach Haus, und dann kam es erst zu schrecklichen Szenen!
    B... redete lange auf seinen ehemaligen Kameraden ein; schließlich erklärte er ihm, wenn er sich nicht bessern wolle, so werde er ihm keinerlei Hilfe zukommen lassen; er sagte ihm ohne Umschweife, er werde ihm kein Geld geben, da er es ja doch nur vertrinke, und bat ihn zuletzt, ihm etwas vorzugeigen, damit er sehen könne, was sich für ihn tun ließe. Als mein Stiefvater hinausgegangen war, um die Geige zu holen, wollte B... meiner Mutter heimlich Geld geben; aber diese nahm es nicht. Es war das erstemal, daß sie eine Gabe annehmen sollte! Da gab B... das Geld mir, und die arme Frau zerfloß in Tränen. Mein Stiefvater brachte die Geige, verlangte aber zunächst Branntwein, weil er ohne das nicht spielen könne. Es wurde Branntwein geholt. Er trank ihn und fing an im Zimmer auf und ab zu gehen: „Ich will dir etwas von meinen eigenen Sachen vorspielen, aus Freundschaft“, sagte er zu B... und zog ein dickes, verstaubtes Heft unter der Kommode hervor.
    „Das alles habe ich selbst geschrieben“, sagte er, auf das Heft weisend. „Nun, du wirst ja sehen! Das ist etwas anderes, lieber Freund, als eure Ballettmusik!“
    B... überblickte schweigend einige Seiten; dann schlug er ein Notenheft auf, das er bei sich hatte, und bat meinen Stiefvater, seine eigenen Kompositionen beiseite zu lassen und etwas von dem zu spielen, was er selbst mitgebracht hatte.
    Mein Stiefvater fühlte sich etwas gekränkt; indessen erfüllte er B...s Verlangen, da er fürchtete, sonst die neue Protektion zu verlieren. B... erkannte, daß sein früherer Kamerad sich in der Zeit ihrer Trennung wirklich viel geübt und viel zugelernt hatte, obgleich er sich damit rühmte, gleich vom Beginn seiner Ehe an das Instrument nicht mehr in die Hand genommen zu haben. Nun mußte man die Freude meiner armen Mutter sehen! Sie blickte ihren Mann mit leuchtenden Augen an und war wieder stolz auf ihn. Aufrichtig erfreut beschloß der gute B..., meinen Stiefvater

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