Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
an das immer brennende Lämpchen vor dem altertümlichen Heiligenbilde in der dunklen Ecke; dann, wie mich einmal ein Pferd auf der Straße umstieß, infolgedessen ich, wie man mir später erzählt hat, drei Monate lang krank lag; ferner, wie ich während dieser Krankheit eines Nachts an der Seite meiner Mutter erwachte, mit der ich zusammen schlief, und wie ich auf einmal über meine krankhaften Träume erschrak und über die nächtliche Stille und über die in einer Ecke nagenden Mäuse und vor Angst die ganze Nacht zitterte und mich unter die Bettdecke verkroch, aber nicht wagte, meine Mutter aufzuwecken, woraus ich schließe, daß ich sie noch mehr fürchtete als alle jene schrecklichen Dinge. Aber von dem Augenblick an, wo ich mir auf einmal meiner selbst bewußt wurde, entwickelte ich mich schnell, in unerwarteter Weise, und viele Ereignisse, die ganz und gar nicht für ein Kindergemüt paßten, wurden mir erschreckend verständlich. Alles hellte sich vor mir auf, alles wurde mir außerordentlich schnell begreiflich. Die Zeit, von der meine klaren Erinnerungen beginnen, hinterließ mir einen starken, trüben Eindruck; dieser Eindruck wiederholte sich dann täglich und steigerte sich mit jedem Tage; er warf einen seltsamen, dunklen Schatten auf die ganze Zeit meines Lebens im Elternhause und damit zugleich auch auf meine ganze Kindheit.
Jetzt scheint es mir, als ob ich damals plötzlich aus einem tiefen Schlafe erwacht wäre (wiewohl dieses Zumbewußtseinkommen damals natürlich für mich nichts Überraschendes hatte). Ich kam zu mir in einem großen, dumpfigen, unsauberen Zimmer mit niedriger Decke; die Wände waren mit einer schmutziggrauen Farbe angestrichen; in einer Ecke stand ein gewaltiger russischer Ofen; die Fenster gingen auf die Straße hinaus oder, richtiger gesagt, auf das Dach des gegenüberstehenden Hauses, und waren niedrig und breit, wie Ritzen. Die Fensterbretter lagen so hoch über dem Fußboden, daß, wie ich mich erinnere, ich einen Stuhl oder ein Bänkchen heranstellen mußte und dann erst mühsam zum Fensterbrette gelangen konnte, auf dem ich gern saß, wenn niemand zu Hause war. Von unserer Wohnung aus konnte man die halbe Stadt sehen; wir wohnten dicht unter dem Dache, in einem sechsstöckigen, riesenhaften Hause. Unser ganzes Mobiliar bestand aus den Überresten eines mit Wachstuch bezogenen Sofas, das arg verstaubt und ganz zerfasert war, aus einem einfachen weißen Tische, zwei Stühlen, dem Bette meiner Mutter, einem Eckschränkchen, einer Kommode, die sich immer zur Seite neigte, und einem zerrissenen papiernen Bettschirm.
Ich erinnere mich, daß es in der Dämmerstunde war; allerlei Dinge waren umhergeworfen und lagen unordentlich auf dem Boden: Bürsten, Lappen, unser hölzernes Geschirr, eine zerbrochene Flasche und ich weiß nicht was sonst noch alles. Ich erinnere mich, daß meine Mutter sehr erregt war und über irgend etwas weinte. Mein Stiefvater saß in einer Ecke, in seinem gewöhnlichen zerrissenen Rocke. Er gab ihr eine spöttische Antwort, durch die sie noch mehr in Zorn geriet, und nun flogen wieder Bürsten und Geschirr auf den Boden. Ich fing an zu weinen und zu schreien und stürzte zu beiden Eltern hin. Ich befand mich in einer schrecklichen Angst und schlang meine Arme fest um meinen Vater, um ihn mit meinem Leibe zu decken. Gott weiß, woher ich die Vorstellung hatte, daß meine Mutter ohne Grund auf ihn zornig sei, daß er keine Schuld habe; ich wollte meine Mutter für ihn um Verzeihung bitten und für ihn jede ihr beliebige Strafe ertragen. Ich fürchtete mich schrecklich vor meiner Mutter und glaubte, daß sich auch alle andern Menschen vor ihr ebenso fürchteten. Meine Mutter war anfangs erstaunt; dann faßte sie mich an der Hand und zog mich hinter den Bettschirm. Ich stieß mir den Arm recht schmerzhaft am Bette; aber die Angst war stärker als der Schmerz, und ich verzog nicht einmal das Gesicht. Ich erinnere mich noch weiter, daß meine Mutter darauf etwas in bitterem, heftigem Tone zu meinem Vater sagte (ich werde ihn künftig in dieser Erzählung meinen Vater nennen, weil ich erst weit später erfuhr, daß er nicht mein leiblicher Vater war). Diese ganze Szene dauerte gegen zwei Stunden, und zitternd vor Erwartung bemühte ich mich aus allen Kräften, zu erraten, wie das alles enden werde. Endlich legte sich der Streit, und meine Mutter ging weg, ich wußte nicht wohin. Da rief mein Vater mich zu sich, küßte mich, strich mir das Haar glatt, setzte
Weitere Kostenlose Bücher