Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
russisches Werk verschafft, von dem sie beide in hohem Grade enthusiasmiert waren, und das sie dann fast immer bei ihren Zusammenkünften lasen. Ich erinnere mich, daß es ein Drama in Versen von irgendeinem bekannten russischen Autor war. Die ersten Zeilen dieses Stückes prägten sich mir so fest ein, daß, als es mir später, nach einigen Jahren, zufällig in die Hände kam, ich es ohne Mühe wiedererkannte. In diesem Drama war viel von dem Unglück eines großen Künstlers die Rede, irgendeines Gennaro oder Giacomo, der auf einer Seite rief: „Ich werde nicht anerkannt!“ und auf der andern: „Ich werde anerkannt!“ oder: „Ich bin talentlos!“ und nachher einige Zeilen weiter: „Ich besitze Talent!“ Das Ganze endete sehr weinerlich. Dieses Drama war zwar ein sehr schlechtes Machwerk; aber merkwürdigerweise wirkte es in der naivsten, tragischsten Weise auf die beiden Leser, die in dem Haupthelden eine große Ähnlichkeit mit sich selbst fanden. Ich erinnere mich, daß Karl Fjodorowitsch manchmal in solche Aufregung geriet, daß er vom Stuhle aufsprang, in die gegenüberliegende Ecke des Zimmers lief und meinen Vater und mich, die er „Mademoiselle“ nannte, dringend und inständig mit Tränen in den Augen bat, gleich auf der Stelle Schiedsrichter zwischen ihm einerseits und dem Schicksal und dem Publikum andrerseits zu sein. Dann begann er ohne Verzug zu tanzen, und nachdem er einige Pas ausgeführt hatte, rief er uns zu, wir möchten ihm sofort sagen, ob er ein Künstler sei, oder ob man das Gegenteil behaupten könne, nämlich daß er kein Talent besitze. Mein Vater wurde dann sehr vergnügt und blinkte mir heimlich zu, als wolle er mir im voraus ankündigen, daß er sich gleich über den Deutschen königlich lustig machen werde. Mir wurde furchtbar lächerlich zumute; aber mein Vater drohte mir mit dem Finger, und so nahm ich mich denn zusammen, obwohl ich vor Lachen beinah erstickte. Selbst jetzt bei der bloßen Erinnerung muß ich lachen. Als wenn es heute wäre, sehe ich diesen armen Karl Fjodorowitsch vor mir. Er war von sehr kleiner Statur, außerordentlich schmächtig, schon ergraut und hatte eine gebogene, rote Nase, die immer von Tabak befleckt war, und schrecklich krumme Beine; aber trotzdem war er auf ihre Schönheit stolz und trug sehr enge Beinkleider. Wenn er nach dem letzten Sprunge in einer kunstvollen Pose stehenblieb, die Arme zu uns hinstreckte und uns anlächelte, wie auf der Bühne die Tänzer nach Ausführung ihrer Pas zu lächeln pflegen, dann beobachtete mein Vater einige Augenblicke lang stillschweigend, wie wenn er sich noch nicht entschließen könnte, ein Urteil auszusprechen, und ließ absichtlich den verkannten Tänzer in seiner Pose verharren, so daß er auf einem Bein von einer Seite zur andern schwankte und alle Kraft aufbieten mußte, um das Gleichgewicht zu bewahren. Zuletzt blickte mein Vater mich mit überaus ernster Miene an, wie wenn er mich auffordern wollte, unparteiische Zeugin des Urteils zu sein, und gleichzeitig richteten sich auf mich auch die schüchternen, flehenden Blicke des Tänzers.
„Nein, Karl Fjodorowitsch, es gelingt dir nicht!“ sagte mein Vater endlich, indem er sich stellte, als sei es ihm selbst unangenehm, die bittere Wahrheit auszusprechen. Dann entrang sich der Brust Karl Fjodorowitschs ein aufrichtiges Stöhnen; aber im nächsten Augenblick faßte er wieder Mut, bat uns mit eilfertigen Gebärden von neuem um Aufmerksamkeit, versicherte, er habe nur nicht nach der richtigen Methode getanzt, und flehte uns an, noch einmal zu richten. Dann lief er von neuem in eine andere Ecke und sprang manchmal so eifrig, daß er mit dem Kopfe die Decke berührte und sich schmerzhaft stieß; aber er ertrug den Schmerz heroisch wie ein Spartaner, hielt wieder in der Schlußpositur inne, streckte wieder die zitternden Arme nach uns hin und bat wieder um eine Entscheidung seines Schicksals. Aber mein Vater war unerbittlich und antwortete wie vorher mit düsterer Miene:
„Nein, Karl Fjodorowitsch, es ist offenbar dein Schicksal: es gelingt dir nicht!“
Hier konnte ich mich nicht länger halten und brach in ein schallendes Gelächter aus, und nach mir auch mein Vater. Karl Fjodorowitsch, der nun endlich die Neckerei merkte, wurde ganz rot vor Unwillen; mit Tränen in den Augen und mit tiefer, wenn auch sich komisch äußernder Empfindung, die aber nachher bei mir ein reuevolles Mitleid mit dem Unglücklichen erweckte, rief er meinem Vater zu:
„Du
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