Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
veranlassen.
In der Dämmerstunde, zu der Zeit, wo der Vater zurückkommen mußte, erwartete ich ihn wie gewöhnlich auf dem Flur. Diesmal befand ich mich in starker Verwirrung. Meine Seele war durch Gewissensbisse heftig erregt. Endlich kehrte der Vater zurück, und ich freute mich sehr über sein Kommen, wie wenn ich glaubte, es werde mir davon leichter ums Herz werden. Er hatte sich schon in heitere Laune versetzt; aber als er mich erblickte, nahm er sofort eine geheimnisvolle, verlegene Miene an, führte mich in eine Ecke, zog, ängstlich nach unserer Tür hinblickend, einen Pfefferkuchen, den er gekauft hatte, aus der Tasche und ermahnte mich im Flüstertone, ich sollte mich nie wieder unterstehen, der Mutter heimlich Geld wegzunehmen; das sei eine schlechte, sehr häßliche Handlung, über die man sich schämen müsse; jetzt sei dies ja allerdings deswegen geschehen, weil der Papa dringend Geld nötig gehabt habe; aber er werde es mir wiedergeben, und ich könne ja dann sagen, ich hätte das Geld wiedergefunden; aber der Mama Geld wegzunehmen, das sei eine Schande, und ich solle mir künftig so etwas ja nicht wieder beikommen lassen, und wenn ich das künftig beherzigen wolle, dann werde er mir zur Belohnung noch mehr Pfefferkuchen kaufen; zum Schlusse fügte er sogar hinzu, ich solle mit Mama Mitleid haben; Mama sei so krank und arm und arbeite ganz allein für uns alle. Voller Angst hörte ich zu; ich zitterte am ganzen Leibe, und die Tränen stürzten mir aus den Augen. Ich war so betroffen, daß ich kein Wort herausbringen und mich nicht von der Stelle rühren konnte. Endlich ging er ins Zimmer, nachdem er mir noch gesagt hatte, ich solle nicht weinen und nichts von allem Geschehenen der Mutter erzählen. Ich nahm wahr, daß er auch selbst sehr verlegen war. Den ganzen Abend über war ich in großer Angst und wagte zum erstenmal nicht, ihn anzusehen und mich ihm zu nähern. Augenscheinlich vermied auch er meine Blicke. Meine Mutter ging im Zimmer auf und ab und redete nach ihrer Gewohnheit wie in Selbstvergessenheit etwas vor sich hin. An diesem Tage befand sie sich schlechter und bekam eine Art Anfall. Ich aber begann infolge der seelischen Qual schließlich zu fiebern. Als es Nacht wurde, konnte ich nicht einschlafen. Krankhafte Träume peinigten mich. Endlich vermochte ich es nicht mehr zu ertragen und fing an bitterlich zu weinen. Mein Schluchzen weckte die Mutter auf; sie rief mich an und fragte, was mir fehle. Ich antwortete nicht, sondern weinte noch heftiger. Da zündete sie Licht an, trat zu mir und suchte mich zu beruhigen, in der Meinung, ich hätte mich im Traum vor etwas geängstigt. „Ach, du dummes kleines Mädchen!“ sagte sie; „immer noch weinst du, wenn dir etwas träumt! Na, nun hör aber auf!“ Dann küßte sie mich und sagte, ich solle zu ihr kommen und bei ihr schlafen. Aber ich wollte nicht; ich wagte nicht, sie zu umarmen und zu ihr zu gehen. Ich litt unsägliche Qualen. Es drängte mich, ihr alles zu erzählen. Ich wollte schon anfangen; aber der Gedanke an den Vater und an sein Verbot hielt mich zurück. „Ach, du arme, kleine Netotschka!“ sagte die Mutter, während sie mich wieder ordentlich ins Bett legte und mich mit ihrer alten Pelerine zudeckte, da sie bemerkt hatte, daß ich vor Fieberschauern am ganzen Leibe zitterte; „du wirst gewiß einmal eine ebenso kranke Frau werden wie ich!“ Dabei sah sie mich so traurig an, daß ich ihren Blick nicht ertragen konnte, sondern die Augen zudrückte und mich abwandte. Ich erinnere mich nicht, wie ich einschlief; aber noch im Halbschlaf hörte ich lange, wie meine arme Mutter mir beruhigend zuredete. Noch nie hatte ich schlimmere Qualen erduldet. Das Herz krampfte sich mir schmerzhaft zusammen. Am folgenden Morgen war mir leichter zumute. Ich knüpfte mit meinem Vater ein Gespräch an, ohne das gestrige Ereignis zu erwähnen; denn ich hatte im voraus das Gefühl, daß ihm dies sehr angenehm sein werde. Sofort wurde er heiterer; denn auch er hatte immer ein finsteres Gesicht gemacht, wenn er nach mir hinsah. Nun aber, wo er mich vergnügt sah, bemächtigte sich seiner eine lebhafte Fröhlichkeit, eine beinah kindliche Zufriedenheit. Bald darauf ging die Mutter aus, und nun konnte er sich nicht mehr halten. Er begann, mich so zu küssen, daß ich in eine Art von hysterischem Entzücken geriet und gleichzeitig lachte und weinte. Zuletzt sagte er, er wolle mir etwas sehr Schönes zeigen, weil ich ein so kluges, gutes Mädchen
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