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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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ihm weniger Furcht und sogar weniger Respekt hatte als vor meiner Mutter. Er stand sozusagen mit mir mehr auf einer Stufe. Allmählich spürte ich, daß ich sogar die Oberhand über ihn gewann, daß ich ihn ein wenig unter meine Botmäßigkeit brachte, daß ich ihm bereits unentbehrlich war. Ich war innerlich darauf stolz, triumphierte innerlich, und da ich mir meiner Unentbehrlichkeit für ihn bewußt war, so neckte ich ihn sogar manchmal. In der Tat, diese meine seltsame Zuneigung hatte etwas Romanhaftes. Aber diesem Romane war keine lange Dauer beschieden: bald verlor ich meinen Vater und meine Mutter. Beider Leben fand sein Ende durch eine schreckliche Katastrophe, die in meinem Gedächtnisse einen tiefschmerzlichen Eindruck hinterlassen hat. Das trug sich folgendermaßen zu.

KAPITEL III
     
     
    Um diese Zeit geriet ganz Petersburg durch eine außerordentliche Neuigkeit in Aufregung. Es verbreitete sich das Gerücht von der Ankunft des berühmten S...z. Alles, was musikalisch war in Petersburg, kam in Bewegung. Sänger, Musiker, Dichter, Musikfreunde und sogar solche Leute, die niemals Musikfreunde gewesen waren und mit stolzer Bescheidenheit versicherten, sie kennten keine einzige Note, alle rissen sich mit begieriger Begeisterung um Billette. Der Saal konnte nicht den zehnten Teil der Enthusiasten fassen, die in der Lage waren, fünfundzwanzig Rubel Eintrittsgeld zu bezahlen; aber S...zs europäischer Ruf, der Lorbeer, der ihm auch in seinem hohen Alter treu geblieben war, die unverwelkliche Frische seines Talentes, das Gerücht, daß er in der letzten Zeit nur selten den Violinbogen für das Publikum in die Hand genommen habe, die Erklärung, dies sei seine letzte Tour durch Europa und er werde dann ganz aufhören zu spielen, dies alles tat seine Wirkung. Mit einem Worte, der Eindruck, den diese Nachricht machte, war ein großer und tiefer.
    Ich habe schon gesagt, daß die Ankunft jedes neuen Geigers, jeder auch nur einigermaßen hervorragenden Zelebrität meinen Stiefvater in eine sehr unangenehme Stimmung versetzte. Er suchte dann immer einer der ersten zu sein, die den fremden Künstler hörten, um möglichst bald beurteilen zu können, auf welcher Höhe seine Kunst stehe. Oft wurde er geradezu krank von dem Lobe, das dem Ankömmling ringsum gespendet wurde, und beruhigte sich erst dann, wenn er an dem Spiele des neuen Geigers hatte Mängel entdecken können und nun in scharfen Ausdrücken seine Meinung überall aussprach, wo er dazu die Möglichkeit hatte. Der arme, geistesgestörte Mensch erkannte in der ganzen Welt nur ein Talent, nur einen Künstler an, und dieser Künstler war natürlich er selbst. Aber das Gerücht von der Ankunft S...zs, dieses musikalischen Genies, brachte auf ihn eine erschütternde Wirkung hervor. Es muß bemerkt werden, daß Petersburg in den letzten zehn Jahren keinen talentvollen Musiker zu hören bekommen hatte, der an Ruhm auch nur im entferntesten mit S...z zu vergleichen gewesen wäre; infolgedessen hatte mein Vater gar keine Vorstellung von dem Spiele eines westeuropäischen Künstlers ersten Ranges.
    Es ist mir erzählt worden, bei dem ersten Gerüchte von S...zs Ankunft habe man meinen Vater sogleich wieder hinter den Kulissen des Theaters gesehen. Er habe sich sehr aufgeregt gezeigt und sich mit großer Unruhe nach S...z und dem bevorstehenden Konzerte erkundigt. Da man ihn schon seit langer Zeit nicht mehr hinter den Kulissen gesehen gehabt habe, habe sein Erscheinen dort sogar ein gewisses Aufsehen erregt. Jemand habe ihn aufziehen wollen und in herausforderndem Tone zu ihm gesagt: „Jetzt werden Sie keine Ballettmusik zu hören bekommen, mein lieber Jegor Petrowitsch, sondern eine Musik, vor der Sie sich verkriechen müssen!“ Er sei beim Anhören dieser Spottrede ganz blaß geworden, habe aber mit gezwungenem Lächeln geantwortet: „Nun, wir werden ja sehen; über alles, was in der Ferne ist, wird viel gelogen; bis jetzt ist ja S...z nur in Paris gewesen; da haben nun die Franzosen ein großes Geschrei von ihm gemacht; aber man kennt ja die Franzosen schon!“ usw. Ringsumher sei gelacht worden; der arme Mensch habe sich gekränkt gefühlt, sich aber beherrscht und hinzugefügt, er wolle weiter nichts sagen; man werde ja sehen; bis übermorgen sei nicht mehr lange hin; alle Unklarheiten würden bald aufgehellt werden.
    Aus B...s Mitteilung weiß ich folgendes. An diesem selben Abend, kurz vor dem Dunkelwerden, begegnete B... dem Fürsten Ch...i, einem bekannten

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