Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
herein. Er kam, um sich seinen Hut zu holen.
„Wo ist das Geld?!“ rief plötzlich meine Mutter, die auf einmal erriet, daß etwas Ungewöhnliches vorgegangen war. „Wo ist das Geld? Rede! Rede!“ Dabei riß sie mich vom Bette weg und stellte mich mitten ins Zimmer.
Ich schwieg und schlug die Augen zu Boden; ich verstand kaum, was mit mir vorging, und was man mit mir machte.
„Wo ist das Geld?“ schrie sie noch einmal, indem sie von mir abließ und sich plötzlich zum Vater wandte, der seinen Hut ergriffen hatte. „Wo ist das Geld?“ wiederholte sie. „Ah, sie hat es dir gegeben? Du gottloser Mensch! Mich hast du zugrunde gerichtet und gemordet, und nun richtest du sie auch noch zugrunde! Das Kind, sie, sie! Aber nein, du sollst nicht so davongehen!“
In einer Sekunde stürzte sie nach der Tür, schloß sie von innen zu und steckte den Schlüssel zu sich.
„Sprich! Gestehe!“ wandte sie sich wieder an mich mit einer Stimme, die vor Aufregung kaum zu hören war. „Gestehe alles! Rede, rede! Oder ... ich weiß nicht, was ich mit dir tue!“
Sie packte meine Arme, als wollte sie sie bei diesem Verhör zerbrechen. Sie war ganz außer sich vor Wut. In diesem Augenblicke schwur ich mir zu schweigen und kein Wort von meinem Vater zu sagen; aber ich hob zum letztenmal schüchtern die Augen zu ihm auf ... Ein einziger Blick von ihm, ein einziges Wort, irgend etwas von dem, was ich erwartete, und um das ich im stillen betete – und ich wäre glücklich gewesen trotz aller Qualen, trotz aller Foltern. Aber, o Gott! Mit einer gefühllosen, drohenden Gebärde befahl er mir zu schweigen, als ob ich in diesem Augenblicke irgend jemandes Drohungen hätte fürchten können. Die Kehle war mir wie zugeschnürt; mein Atem stockte; die Beine knickten mir zusammen, und ich fiel besinnungslos auf den Fußboden. Der gestrige Nervenanfall hatte sich wiederholt.
Ich kam wieder zum Bewußtsein, als plötzlich an der Tür unserer Wohnung geklopft wurde. Die Mutter schloß auf und erblickte einen Diener in Livree, der ins Zimmer trat, uns alle erstaunt ansah und nach dem Musiker Jefimow fragte. Mein Stiefvater gab sich als dieser zu erkennen. Da überreichte ihm der Diener ein Briefchen und teilte ihm mit, er sei von Herrn B... hergeschickt worden, der sich augenblicklich beim Fürsten Ch...i befinde. In dem Kuvert befand sich eine Eintrittskarte zu dem S...zschen Konzerte.
Das Erscheinen dieses Lakaien in reicher Livree und der von ihm erwähnte Name des Fürsten, seines Herrn, der ihn expreß zu dem armen Musiker Jefimow geschickt hatte: alles dies machte sofort einen starken Eindruck auf meine Mutter. Ich habe bereits gleich am Anfang über ihren Charakter gesagt, daß die arme Frau den Vater immer noch liebte. Trotz der ganzen acht Jahre steten Kummers und Leides hatte ihr Herz sich auch jetzt noch nicht geändert: sie konnte ihn immer noch lieben! Gott weiß, vielleicht glaubte sie jetzt auf einmal an eine Veränderung in seinem Schicksal. Auch der bloße Schatten einer Hoffnung übte auf sie schon einen Einfluß aus. Wer kann es wissen: vielleicht hatte sie sich auch von dem unerschütterlichen Selbstvertrauen ihres halb irrsinnigen Mannes bis zu einem gewissen Grade anstecken lassen! Und es konnte ja auch gar nicht anders sein, als daß dieses Selbstvertrauen auf sie, eine schwache Frau, einen wenn auch vielleicht nicht allzu großen Eindruck machte. Auf die freundliche Aufmerksamkeit, die der Fürst ihm erwiesen hatte, baute sie nun sofort tausend Pläne für ihn. Sie war sogleich bereit, gegen ihn wieder freundlich zu sein; sie war imstande, ihm alles zu verzeihen, was er ihr diese ganze Zeit her angetan hatte, selbst sein letztes Verbrechen, die Verleitung ihres einzigen Kindes zur Sünde, und in ihrem lebhaft aufflammenden Enthusiasmus, in ihrer neuen Hoffnungsfreudigkeit dieses Verbrechen nur als einen gewöhnlichen Fehltritt, als einen Ausfluß des Kleinmutes anzusehen, der durch die bittere Armut, das elende Leben und die ganze verzweifelte Lage hervorgerufen sei. Sie war wie berauscht, und in einem Augenblick war bei ihr ein unendliches Mitleid mit ihrem verkommenen Manne erwacht und sie hatte ihm alles verziehen.
Der Vater war in hastige Bewegung geraten; auch ihn hatte die Aufmerksamkeit des Fürsten und B...s überrascht. Er wandte sich an die Mutter, flüsterte ihr etwas zu, und sie verließ das Zimmer. Nach zwei Minuten kehrte sie wieder zurück und brachte das Geld, das sie unterdessen eingewechselt
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