Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
ich aus irgendeinem Grunde traurig; so geht es mir immer. Und daß ich weinte, das hatte auch nichts auf sich, ich weiß selbst nicht, weshalb ich immer weinen muß. Ich bin, das fühle ich, krankhaft überreizt, alle Eindrücke, die ich empfange, sind krankhaft – krankhaft heftig. Der wolkenlose blasse Himmel, der Sonnenuntergang, die Abendstille – alles das – ich weiß wirklich nicht, – ich war gestern jedenfalls in der Stimmung, alle Eindrücke schwer und qualvoll zu nehmen, so daß das Herz bald übervoll war und die Seele nach Tränen verlangte. Doch wozu schreibe ich Ihnen das alles? Das Herz wird sich nur so schwer über alles dies klar, um wie viel schwerer ist es da noch, alles wiederzugeben! Aber vielleicht verstehen Sie mich doch.
Leid und Freude! Wie gut Sie doch sind, Makar Alexejewitsch! Gestern blickten Sie mir so in die Augen, als wollten Sie in ihnen lesen, was ich empfand, und Sie waren glücklich über meine Freude. War es ein Strauch, eine Allee oder ein Wasserstreifen – immer standen Sie da vor mir und fühlten sich ganz stolz und schauten mir immer wieder in die Augen, als wäre alles, was Sie mir da zeigten, Ihr Eigentum gewesen. Das beweist, daß Sie ein gutes Herz haben, Makar Alexejewitsch. Deshalb liebe ich Sie ja auch.
Nun leben Sie wohl. Ich bin heute wieder krank: gestern bekam ich nasse Füße und habe mich infolgedessen erkältet. Fedora ist noch nicht ganz gesund – ich weiß nicht, was ihr fehlt. So sind wir jetzt beide krank. Vergessen Sie mich nicht, kommen Sie öfter zu uns.
Ihre
W. D.
12. Juni.
Mein Täubchen Warwara Alexejewna!
Ich dachte, mein Kind, Sie würden mir den gestrigen Ausflug in lauter Gedichten beschreiben, und da erhalte ich nun von Ihnen so ein einziges kleines Blättchen! Doch will ich damit nicht tadeln, daß Sie mir nur wenig geschrieben haben: dafür haben Sie alles ungewöhnlich gut und schön beschrieben. Die Natur, die verschiedenen Landschaftsstimmungen, was Sie selber empfanden – das haben Sie mit einem Worte kurz, aber ganz wunderbar geschildert. Ich habe dagegen ganz und gar kein Talent, irgend etwas zu beschreiben: wenn ich auch zehn Seiten vollkritzele, es kommt dabei doch nichts heraus und nichts ist wirklich beschrieben. Das weiß ich selbst nur zu genau.
Sie schreiben mir, meine Liebe, daß ich ein guter Mensch sei, sanftmütig, voll Wohlwollen für alle, unfähig, dem Nächsten etwas Böses zuzufügen, und daß ich die Güte des himmlischen Schöpfers, wie sie in der Natur zum Ausdruck kommt, wohl verstehe, und Sie beehren mich noch mit verschiedenen anderen Lobsprüchen. – Das ist gewiß alles wahr, mein Kind, nichtsals die reine Wahrheit, denn ich bin wirklich so, wie Sie sagen, ich weiß das selbst: und es freut einen auch, wenn man von anderen so etwas geschrieben sieht, wie das, was Sie mir da geschrieben haben: es wird einem unwillkürlich froh und leicht zumut – aber schließlich kommen einem doch wieder allerlei schwere Gedanken. Nun hören Sie mich mal an, mein Kind, ich will Ihnen jetzt mal etwas erzählen.
Ich beginne damit, daß ich auf die Zeit zurückgreife, als ich erst siebzehn Lenze zählte und in den Staatsdienst trat: nun werden es bald runde dreißig Jahre sein, daß ich als Beamter tätig bin! Ich habe in der Zeit, was soll ich sagen, genug Uniformröcke abgetragen, bin darüber Mann geworden, auch vernünftiger und klüger, habe Menschen gesehen und kennen gelernt, habe auch gelebt, ja, warum nicht – ich kann schon sagen, daß ich gelebt habe –, und einmal wollte man mich sogar zur Auszeichnung vorschlagen: man wollte mir nämlich für meine Dienste ein Kreuz verleihen. Sie werden mir das letztere vielleicht nicht glauben, aber es war wirklich so, ich lüge Ihnen nichts vor. Nun, was kam dabei heraus, mein Kind? Ja, sehen Sie, es finden sich immer und überall schlechte Menschen. Aber wissen Sie, was ich Ihnen sagen werde, meine Liebe: ich bin zwar ein ungebildeter Mensch, meinetwegen sogar ein dummer Mensch, aber das Herz, das in mir schlägt, ist genau so, wie das Herz anderer Menschen. Also wissen Sie, Warinka, was ein böser Mensch mir antat? Man schämt sich ordentlich, es zu sagen. Sie fragen, warum er es tat? Einfach darum, weil ich so ein Stiller bin, weil ich bescheidenbin, weil ich ein guter Kerl bin. Ich war ihnen nicht nach ihrem Geschmack, und so wurde denn alles mir, und immer mir, in die Schuhe geschoben. Anfangs hieß es, wenn jemand etwas schlecht gemacht hatte:
»Eh, Sie
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