Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
da gelegt?«
»Na, es wird schon etwas dagewesen sein, worauf er liegen konnte. Machst du dich auch nicht darüber lustig?«
»Ein famoser Kerl!« rief Iwan, noch immer mit derselben seltsamen Lebhaftigkeit. Er hörte jetzt mit überraschendem Interesse zu! »Nun weiter! Liegt er noch da?«
»Das ist es ja eben, daß er nicht mehr daliegt. Er hat fast tausend Jahre dagelegen, dann stand er auf und fing an zu gehen.«
»So ein Esel!« rief Iwan. Er lachte nervös, doch es machte den Eindruck, als dachte er angestrengt über etwas nach! »Ist es nicht ganz egal, ob er ewig daliegt oder eine Quadrillion Werst geht? Daran hat er ja wohl eine Billion Jahre zu gehen?«
»Sogar viel mehr. Ich habe keinen Bleistift und kein Papier zur Hand, sonst ließe sich das ausrechnen. Aber er ist ja schon längst mit seiner Wanderung fertig, und eben da beginnt die Anekdote.«
»Was? Mit seiner Wanderung fertig? Wo hat er denn die Billion Jahre hergenommen?«
»Du denkst immer nur an unsere heutige Erde! Die heutige Erde hat sich ja selbst vielleicht billionenmal wiederholt; sie wurde altersschwach, vereiste, barst, fiel auseinander, zersetzte sich in ihre Elementarbestandteile, dann war sie wieder Wasser unter und über der Feste, dann wieder ein Komet, dann eine Sonne, dann wurde sie aus einer Sonne wieder eine Erde – diese Entwicklung hat sich vielleicht schon unzählige Male wiederholt, und immer auf dieselbe Weise, bis aufs Tüpfelchen. Eine geradezu unanständig langweilige Geschichte ...«
»Nun, und was ist dann geschehen, als er mit seiner Wanderung fertig war?«
»Sobald man ihm die Pforten des Paradieses geöffnet hatte und er eingetreten und noch nicht zwei Sekunden drin war, und zwar nach der Uhr, obgleich sich seine Uhr meiner Ansicht nach unterwegs längst in ihre Bestandteile hätte auflösen müssen, kurz, er war also noch nicht zwei Sekunden drin, da rief er, für diese zwei Sekunden könne man nicht nur eine Quadrillion, sondern eine Quadrillion Quadrillionen Kilometer gehen, ja selbst wenn diese Zahl noch zur quadrillionsten Potenz erhoben würde! Kurz, er sang Hosianna und übertrieb das dermaßen, daß von den dort Anwesenden einige mit etwas vornehmerer Denkweise ihm anfangs nicht einmal die Hand geben mochten: Er war allzu eifrig zu den Konservativen übergegangen. Ein echt russischer Charakter! Ich wiederhole, es ist eine Legende; ich gebe sie so wieder, wie ich sie gehört habe. Du siehst also, was für Begriffe dort bei uns über diese Dinge gang und gäbe sind.«
»Jetzt habe ich dich ertappt!« rief Iwan mit einer fast kindlichen Freude, als hätte er sich nun mit Sicherheit an etwas erinnert. Diese Anekdote über die Quadrillion Werst habe ich selbst erfunden! Ich war damals siebzehn Jahre alt und besuchte das Gymnasium. Ich habe diese Anekdote damals erfunden und einem Mitschüler namens Korowkin erzählt; es war in Moskau. Diese Anekdote ist so charakteristisch, daß ich sie von nirgendwoher nehmen konnte. Ich hatte sie beinahe vergessen, doch jetzt ist sie mir unwillkürlich wieder ins Gedächtnis gekommen – mir selbst, hörst du, nicht du hast sie mir erzählt! Wie einem eben tausend Dinge manchmal unwillkürlich ins Gedächtnis kommen, sogar wenn man zum Schafott geführt wird ... Im Traum ist sie mir eingefallen. Und du, du bist dieser Traum! Du bist ein Traum und existierst nicht!«
»Nach der Heftigkeit zu urteilen, mit der du mich verneinst«, erwiderte der Gentleman lachend, »bin ich überzeugt, daß du an mich glaubst.«
»Durchaus nicht! Nicht wie eins zu hundert glaube ich!«
»Aber wie eins zu tausend glaubst du. Die homöopathischen Bruchteile sind vielleicht gerade besonders kräftig. Gestehe, daß du glaubst, na, dann eben wie eins zu zehntausend ...«
»Nicht eine Sekunde!« rief Iwan hitzig! »Übrigens würde ich ganz gern an dich glauben!« fügte er auf einmal seltsam hinzu.
»Aha! Das ist ja doch ein Geständnis! Aber ich bin gut, ich werde dir auch hier behilflich sein. Weißt du was? Ich habe dich ertappt, nicht du mich! Ich habe dir absichtlich deine eigene Anekdote erzählt, die du schon vergessen hattest, damit du den Glauben an mich endgültig verlierst.«
»Du lügst! Der Zweck deines Erscheinens ist, mich davon zu überzeugen, daß du existierst.«
»Ganz richtig. Aber das Schwanken, die Unruhe, der Kampf zwischen Glauben und Unglauben, das ist ja manchmal für einen gewissenhaften Menschen wie dich so eine Qual, daß er sich am liebsten aufhängen
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