Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
wie alles an diesem Abend Vorgetragene von der Zensur genehmigt worden war, wohl ohne jede Wortänderung, jedoch mit so ausdrucksvollen Betonungen und Gesten vortrug, daß alles einen ganz zensurwidrigen Sinn erhielt. Es erhob sich ein wahres Freudengeheul, ein nicht zu beschreibender Beifallsorkan. Noch siehe da: am nächsten Tage verbreitet sich überall die Kunde, daß Professor P. verhaftet und aus Petersburg bereits entfernt worden sei. Was war nun zu tun? Gegen eine solche Maßregel mußte man protestieren, aber wie, in welcher Form? Die Studenten folgerten ganz richtig, daß die Entfernung des einen Professors eine Drohung für die übrigen Professoren in sich schloß, so daß diese ihre Vorlesungen nicht gut fortsetzen konnten, wenn sie nicht gerade zu zeigen wünschten, daß sie ihren Kollegen für schuldig hielten, selbst aber vor der Regierung schuldlos dastehen wollten. So wurde denn beschlossen, die Duma-Universität zu schließen und damit gegen solche Eingriffe zu protestieren. Es war das ein Protest von der Art, wie unter Umständen die Professoren ihren Abschied zu nehmen pflegen – ein bekanntlich sich fortwährend wiederholender Vorgang an den russischen Universitäten, etwas Ähnliches wie der japanische Selbstmord. Die Studenten setzten bei dieser Beschlußfassung natürlich voraus, daß die ganze Gesellschaft von Schmerz und Zorn erschüttert sein werde, wenn die Universität, diese Hauptquelle ihrer Aufklärung, plötzlich geschlossen wurde. Die Professoren willigten denn auch ein, ihre Vorlesungen abzusagen, wie es die Studenten wünschten; nur einer oder zwei von ihnen setzten ihre Vorlesungen fort, wofür ihnen die Hörer Skandale zu machen begannen. Da griff schließlich die Regierung ein und machte der Sache ein Ende, indem sie den Professoren überhaupt verbot, öffentliche Vorlesungen zu halten.
»Was war nun das Ergebnis der ganzen Affäre? Es wurde sofort offenbar, daß die schlaue Berechnung, die Gesellschaft zu erregen und gegen die Regierung aufzubringen, vollkommen fehlgegangen war. Die Gesellschaft rührte sich nicht, und, statt zu wachsen, erlosch die Erregung vollständig. Die Anführer in dieser Sache hatten gar zu naiv geglaubt, daß der Lärm, der in ihren Studentenkreisen herrschte, der Ausdruck der allgemeinen Stimmung sei, und daß es ein leichtes wäre, das Publikum zu täuschen. In Wirklichkeit aber konnte doch niemand ernstlich daran glauben, daß man in der Regierung den Feind und Bedrücker der Aufklärung zu sehen habe. Die Unterlage der Sache war denn auch allen nur zu sichtbar, besonders als gleich darauf Proklamationen aufzutauchen begannen, eine nach der anderen, Proklamationen, von denen die erste hunderttausend Menschen als dem, allgemeinen Wohl in Rußland im Wege stehend erklärte, während die letzte schon unverhüllt drohte, ›die Straßen mit Blut zu überschwemmen und keinen Stein auf dem anderen zu lassen‹. Jedenfalls sah sich die Regierung, die in ihren Maßnahmen stets den liberalen Charakter zu wahren suchte, in eine recht schwierige Lage versetzt; es zeigte sich, daß jede liberale Maßnahme in der Gesellschaft eine Bewegung hervorruft, die sich der Maßnahme zu ihren Zwecken zu bedienen sucht, zu Zwecken, die nicht liberal, sondern durchaus radikal sind. Diese schwierige Lage der Regierung wurde erst durch die Petersburger Brände, die augenscheinlich infolge planmäßiger Brandstiftung entstanden, und den polnischen Aufstand beseitigt, als es endlich klar wurde, daß man das Böse, das so erschreckende Dimensionen annahm, nicht dulden und nicht seinem natürlichen Lauf überlassen darf.«
So weit N. N. Strachoff.
Nach den Aufzeichnungen J. Eckardts folgte »der Krisis vom Herbst 1861 allerdings etwas wie ein Systemwechsel ... Aber das durch die bisherigen Widersprüche erzeugte und von den bereits damals außerordentlich zahlreichen Radikalen genährte Mißtrauen gegen die Umgebung des Kaisers ließ sich nicht mehr völlig beschwichtigen und – die folgenden Maßregeln waren ebenso widerspruchsvoll wie die vorhergehenden,« Diese Widersprüche in den Regierungsmaßnahmen erklärt Eckardt zum Teil dadurch, daß in den höchsten Ämtern Reaktionäre und Liberale einander »in regelmäßigem Turnus ablösten«.
Zur Geschichte der Zeit sei hier bemerkt, daß den Studentenunruhen, den Proklamationen, den Brandstiftungen, den seit der Bauernemanzipation stetig zunehmenden Agrarunruhen, dem Polnischen Aufstande usw. – am 4. Sept. 1866 bereits
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