Wicked - Die Hexen von Oz
ihr? So viel Leid könnte ihr abgenommen werden ⦠und könnte sie ihrerseits abnehmen â¦Â«
»Auf Wiedersehen«, sagten sie und machten die Tür hinter ihr zu. Im Schein der beiden brennenden Kaminfeuer bezogen sie wieder ihre Plätze â würdevoll, und verbittert, weil sie ihrer älteren Schwester gehorchen mussten. Der Teufel sollte sie holen.
5
Eis verkrustete die Dächer, verschob die Ziegel und tropfte schmutzig schmelzend in die Privatgemächer, das Musikzimmer, die Türme. Elphaba ging dazu über, ihren Hut auch im Haus zu tragen, damit sie nicht zufällig einen Eiszapfen auf den Schädel bekam. Die Krähen waren ganz schimmelig um den Schnabel und hatten Algen zwischen den Klauen. Die Schwestern lasen ihren einen Roman fertig, seufzten wie aus einem Munde â wenn man doch leben dürfte! â und fingen wieder von vorne an, wie sie es schon seit acht Jahren machten. Im heftigen Aufwind vom Tal schien der Schnee häufig zu steigen statt zu fallen. Die Kinder waren begeistert.
Eines düsteren Nachmittags hüllte sich Sarima in wollene rote Gewänder und streifte aus Langeweile durch muffige, unbewohnte Räume. Sie kam an einen Treppenschacht, der sich nach oben zu verengte â vielleicht klebte er ja an dem Giebel, den man von auÃen nicht sah, Sarima hatte keine räumliche Vorstellungskraft. Sie stieg die Treppe hinauf. Oben sah sie durch ein rohes Holzgitter eine Gestalt in dem trüben Licht sitzen. Sarima hüstelte, um sie nicht zu erschrecken.
Weit vorgebeugt hing Elphaba über einem dicken Folianten, der auf einer Werkbank lag. Ãberrascht, wenn auch nicht sehr, drehte sie sich um und sagte: »Wir hatten dieselbe Eingebung, wie eigentümlich.«
»Du hast Bücher gefunden, die ich völlig vergessen hatte«, sagte Sarima. Sie konnte mittlerweile zwar lesen, aber nicht gut, und Bücher gaben ihr immer Minderwertigkeitsgefühle. »Ich kann dir nicht einmal sagen, wovon sie handeln. So viele Wörter, man kann sich kaum vorstellen, dass die Welt einer solch eingehenden Betrachtung wert ist.«
»Hier drüben ist ein uralter Atlas«, sagte Elphaba, »und Urkunden von Nutzungsverträgen zwischen verschiedenen arjikischen Familien â ich wette, es gibt Stammesführer, die sich darüber sehr freuen würden. Sofern sie nicht veraltet sind. Einige Schriften, die Fiyero in Shiz hatte, als er Biowissenschaft studierte, erkenne ich wieder.«
»Und dieser groÃe Wälzer? Purpurne Seiten und silberne Tinte â wie prachtvoll!«
»Den habe ich in diesem Schrank auf dem Boden gefunden. Es scheint ein Grimorium zu sein.« Elphaba fuhr mit der Hand über eine vor Feuchtigkeit leicht gewellte Seite. Ihre Hand auf dem Pergament gab einen schönen Kontrast.
»Was ist das, auÃer prachtvoll?«
»Wenn ich es recht verstehe«, antwortete Elphaba, »so etwas wie eine Enzyklopädie der Magie. Ein Buch über Zauberei und die Geisterwelt und über Sichtbares und Unsichtbares und Vergangenes und Zukünftiges. Ich kann nur hier und da eine Zeile entziffern. Sieh nur, wie der Text beim Hinschauen zerfährt.« Sie deutete auf einen handgeschriebenen Absatz. Sarima sah genau hin. Obwohl es mit ihrer Lesekunst nicht weit her war, staunte sie mit offenem Mund. Die Buchstaben bewegten und verschoben sich auf der Seite, als wären sie plötzlich lebendig geworden. Die Seite schien sich vor ihren Augen für einen anderen Sinn zu entscheiden. Die Buchstaben zogen sich zu einem groÃen schwarzen Knäuel zusammen. Elphaba blätterte um. »Hier, dieser Abschnitt ist ein Bestiarium.« Auf der Vorder- und Hinteransicht eines Wesens, das offenbar einen Engel darstellte, warenfeingezeichnete Figuren in Blutrot und Gold zu sehen, dazu Bemerkungen in Schönschrift über die aerodynamischen Aspekte der Vergeistigung. Die Flügel gingen auf und nieder, und der Engel lächelte mit einer gewissen provokanten Heiligkeit. »Und da steht ein Rezept auf der Seite: âºVon weiÃfleischigen Ãpfeln, mit schwarzer Haut umhüllet: Davon der Magen mit tödlicher Gier sich füllet.â¹Â«
»Jetzt erinnere ich mich an dieses Buch«, sagte Sarima. »Ja, ich weià wieder, wie es hergekommen ist â ich habe es selbst hierhingestellt. Das hatte ich ganz vergessen. Ach ja, Bücher sind schnell aus den Augen und aus dem
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