Wie die Tiere
hier» hat gefehlt, aber das war es nicht, «Sie sind hier» gehört ja gar keines auf Architektenpläne. Als Laie kannst du mit solchen Plänen sowieso nicht viel anfangen, aber beeindruckt hat es ihn doch, mitten in den Augarten so ein monströses Tierheim hineinstellen.
Im Grunde war der Flakturm ja jetzt schon ein Tierheim, wo die Krähen um Hilfe schreien. Da hat er auf der Straße direkt ein bisschen vor sich hin gepfiffen, damit er sich nicht fürchtet.
Die Melodie von «Mama». Kennst du bestimmt, das war einmal so ein holländisches Wunderkind, Heintje, der hat eine Stimme gehabt, das glaubst du gar nicht, so rein und klar, und der hat gesungen, dass allen Müttern sofort die Tränen in die Augen gestiegen sind, wenn er nur den Mund aufgemacht hat, Der hat gesungen «Oma so lieb, Oma so nett», oder noch besser «Ich bau dir ein Schloss», aber am allerbesten natürlich: «Mama», da gibt es gar keine Diskussion.
Das hätte sich der Brenner auch nie träumen lassen, dass er diese Melodie jemals pfeifen wird. Weil damals in Puntigam warst du entweder beim Jimi Hendrix dabei oder beim Heintje, beides gleichzeitig ist in der Natur nicht vorgekommen. Der eine goldene Kehle, der andere an seinem Erbrochenen erstickt, einen größeren Unterschied gibt es nicht. Und wenn du damals beim Jimi Hendrix warst, dann war es unvorstellbar, dass du dreißig Jahre später auf einem Wiener Gehsteig den Heintje pfeifen wirst.
Jetzt wie ist so was überhaupt möglich? Du wirst sagen, wenn der Brenner tagelang im Augarten herumgegangen ist, dann muss er ja auch am Heim der Wiener Sängerknaben vorbeigekommen sein, und da wird er vielleicht einmal gehört haben, wie die das «Mama» für den Muttertag geprobt haben, weil der Heintje ist ja irgendwann in den Stimmbruch gekommen, aber Gott sei Dank die Sängerknaben echte Wunderkinder, sprich ewig jung, und die können «Mama» singen bis zum Jüngsten Tag.
So gesehen ist die Vermutung nicht ganz unsinnig, dass der Brenner die Melodie da beim Spazierengehen aufgeschnappt haben könnte wie das reinste Hundekeks. Meistens sind sie ja auf Welttournee, aber kann sein, dass die zwischendurch auch noch daheim in ihrem Augarten-Internat «Mama» zwitschern.
Der Brenner ist in der Simmeringer Hauptstraße am Gehsteig dahingegangen und hat mit so viel Vibrato gepfiffen, dass die Fensterscheiben gezittert haben. Da hätte die Straßenbahn eifersüchtig werden können, so ein Vibrieren ist in der Luft gelegen. Die beiden «Mama»-Töne sind auf seinen Lippen geflattert, dass seine Wangenfalten gezittert haben wie das reinste Espenlaub, oder wenn du kein Espenlaub kennst, stell dir einen Vanillepudding vor, den dir eine nervöse Kellnerin auf den Tisch stellt.
Das war natürlich schon eine Situation, wo man sagen muss, bitte Vorsicht. Weil du darfst eines nicht vergessen. Früher haben die Männer anders gepfiffen als heute, mit mehr Schmelz, mit mehr Vibrato, der Großvater vom Brenner hat immer ganz anders gepfiffen als der Brenner in seiner Jugend, da ist die ganze Lebenserfahrung im Pfiff drinnen gewesen, Schmerz, Matrose, Mädel, alles. Jetzt warum pfeift der Brenner auf einmal mit so viel Schmelz wie sein Großvater in Puntigam?
Der Brenner hat das natürlich schon von früher gekannt. Dass ihm das Unbewusste oft einen kleinen Tipp gibt. Er pfeift irgendetwas, quasi Ohrwurm, und da steckt womöglich im Ohrwurm die Mordlösung drinnen. Aber es ist ihm immer erst aufgefallen, wenn es schon zu spät war, da ist das Unbewusste oft ein kleiner Sadist, das gibt dir einen Faden in die Hand, an dem hängst du dich dreimal auf, bevor er dich einmal aus dem Labyrinth hinaus und zum Täter fühlt.
Und heute hat ihn sowieso ganz was anderes beschäftigt. Dass er jetzt auch schon so pfeift wie sein Großvater. Sprich wie ein alter Mann. Das hat den Brenner so schockiert, dass er nicht mehr weitergepfiffen hat. Aber natürlich, so eine Melodie ist stärker als der größte Wille, jetzt haben sich seine Stimmbänder selbständig gemacht und einfach leise weitergesummt.
Ich muss ehrlich sagen, früher hätte er sich oft gewünscht, dass er den Hinweis versteht, und keine Chance. Und dieses Mal hätte er es lieber nicht gewusst. Und was tut sein Unbewusstes? Bindet es ihm laut und deutlich auf die Nase. Die Mama von der Mali hat dir erzählt, dass die Narbe im Gesicht ihrer Tochter von einem Autounfall kommt. Und der Hojac deutet an, es ist von einem Hundebiss.
Während er bei den Früchtchen
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