Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Amos ist tot, sie haben ihn schon abgeholt«, sagte er und deutete auf die Blutspuren auf dem Boden vor dem Fenster. Dann sah er mich mit rot geränderten Augen an. Wahrscheinlich hatte er die halbe Nacht hier verbracht. » Kannst du eine Doppelschicht arbeiten und mir helfen, hier alles wieder in Ordnung zu bringen?«
» Ich bleibe hier, solange du mich brauchst«, antwortete ich. Arbeit war genau das, was ich jetzt nötig hatte. Etwas, worin ich mich verlieren konnte. Ich ging zur Abstellkammer und holte einen Besen heraus.
» Darf ich dich was fragen? Glaubst du, die Plünderer haben mich auf dem Kieker, weil ich Inder bin?«, fragte Ruplu.
» Ja und nein.« Ich überlegte. » Die Leute hier in der Gegend hassen Ausländer, also war dein Laden ein verlockendes Ziel. Außerdem hassen sie reiche Leute…«
» Aber ich bin doch nicht reich«, unterbrach Ruplu mich. » Meine Familie wohnt in einem Haus mit sechs Zimmern, und wir sind zu neunt. Dieser Laden wirft gar nicht so viel ab.«
Ich fegte die Glassplitter zusammen, die unter den Getränkekisten klemmten. Vor langer Zeit waren solche Getränke einmal gekühlt worden. » Ich weiß, aber das verstehen die nicht. Sie wollen es gar nicht verstehen. Sie wollten einfach die Sachen aus deinem Laden haben, alles andere war bloß ein Vorwand.«
An der Blutlache blieb ich stehen. Der Besen und der Wischmopp würden das Blut nur verschmieren. Ich sah mich um und entdeckte ganz unten in einem Regal eine aufgeplatzte Tüte mit Katzenstreu. Das schüttete ich auf den Blutfleck. Armer Amos. Wahrscheinlich hatte er gar keine Chance gehabt, seine Pistole zu ziehen. Jetzt wurde mir klar, dass sein Wachdienst nur Show gewesen war. Wenn jemand tatsächlich den Mini-Markt ausrauben wollte, brauchte er nur mit einem Sturmgewehr draufzuhalten.
» Ich zahle der Zivilschutztruppe hier achthundert Dollar im Monat, damit sie das Geschäft schützen«, erklärte Ruplu, während er Mineralwasserkisten aufstapelte, für deren Abtransport die Diebe anscheinend keine Zeit gehabt hatten. » Aber haben sie mir eine Entschädigung angeboten, als ich ihnen die Plünderung gemeldet habe? Wo mein Geschäft doch angeblich unter ihrem Schutz steht? Nein. Sie haben mich bloß daran erinnert, dass in vier Tagen die nächsten achthundert Dollar fällig sind.«
» Ich glaube, der Zivilschutz löst in dieser Stadt keine Probleme mehr, sondern er wird selbst allmählich zum Problem«, bemerkte ich.
» Da hast du wohl recht. Und das ist nicht mein einziges Problem.« Ruplu setzte sich auf eine Mineralwasserkiste. » Von Woche zu Woche ist weniger Ware lieferbar. Kein Kaffee mehr. Pepsi liefert ab November nicht mehr so weit in den Süden. Schon seit Monaten kein Aspirin.« Hilflos zuckte er die Achseln. » Was kann ich da tun?«
» Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, sagte ich. » Vielleicht solltest du dir überlegen, mit den Einheimischen hier ins Geschäft zu kommen– sie könnten Erdnüsse und Eingemachtes verkaufen und handgewebte Decken und so was.«
Ruplu nickte nachdenklich. » Das Problem ist nur, wie soll ich diese Leute finden? Und dann müsste man mit jedem etwas anderes aushandeln. Meine Zeit reicht gerade für die Arbeit hier im Laden.«
» Ich könnte mich ja darum kümmern…«
Ruplu schüttelte den Kopf. » Ich kann es mir nicht leisten, dir so viele zusätzliche Stunden zu bezahlen«, sagte er.
» Zahl mir, was du kannst, oder gar nichts«, sagte ich. » Dieser Job hier hat mir das Leben gerettet. Ich bin dir dankbar, und ich will tun, was ich kann, damit dein Geschäft hier läuft.«
Ruplu sah aus, als wollte er gleich anfangen zu weinen. Doch er schlug mir nur auf die Schulter und schluckte die Tränen herunter.
» Du bist ein echter Freund«, sagte er. » Also gut. Wenn du kleine Händler hier in der Stadt auftust und ich bei den Geschäften mit ihren Produkten Geld verdiene, dann kriegst du deinen Anteil. Okay?«
» Hört sich gut an«, sagte ich. Wir besiegelten unsere Abmachung per Handschlag.
Ruplu klopfte mir noch einmal auf die Schulter, und ich ging wieder an die Arbeit.
Während ich weiterfegte, fühlte ich mich, als wäre ich ein Stückchen gewachsen. Ich wollte mich nicht allzu großartig fühlen, denn heute früh war hier ein Mann gestorben, aber ich spürte, wie neue Hoffnung in miraufkeimte. Vielleicht öffnete sich da eine Tür? Vielleicht ergaben sich neue Möglichkeiten, in Zukunft mehr zu tun, als nur den Kunden ihr Wechselgeld in die Hand zu
Weitere Kostenlose Bücher