Wie kommt das Salz ins Meer
Aufsatz, jeder glaubt, daß ich glaube, was ich sage, und wenn ich nach Hause komme, freue ich mich auf die tapsigen Berührungen meiner Schwester und denke, daß sie in Frieden lebt.
Beschäftigungen beanspruchen die Sinne. Man ist nicht der Verführung ausgeliefert, über den Sinn der Beschäftigung nachzudenken. So viel ist zu erledigen! Es gibt immer eine Lade, in der man Ordnung machen muß. Mutter sucht sonntags Pullover, Gürtel und Unterwäsche, Handtaschen und Blusen aus dem Schrank, dann räumt sie alles wieder hinein. Dabei darf man sie nicht stören. Sie erschrickt, wenn man sie laut anspricht, denn sie ist wirklich vertieft ins Ordnen. Wer weiß, was sie wirklich herausräumt, weglegt und wieder zurückräumt. Das beruhigt jedenfalls, und Rolf ist ein ruhiger Mensch, weil er ein ordentlicher Mensch ist. Er streift den Staub von den Schuhsohlen ab, bevor er das Vorzimmer betritt, nimmt die Hundeleine vom Haken und hängt sie auf den richtigen, hängt seinen Mantel auf seinen Haken, wäscht sich gründlich die Hände, schaut, ob der Spiegel wieder mit weißen Spritzpünktchen übersät ist. Nein, heute ist der Spiegel spiegelblank. Die Frau hat geputzt. Sie steht in der Badezimmertür, er sieht seine Frau im Spiegel, geht ins Schlafzimmer, zieht die Schuhe aus, sitzt auf dem Bett, stellt die Schuhe hin, wo sie hingehören, zieht den Rock aus, sieht seine Frau in der Schlafzimmertür, was hat sie denn, warum schaut sie ihm heute zu? Er lockert den Krawattenknopf. Wie beneide ich ihn in diesem Augenblick, daß er eine Krawatte hat, die er sich einfach über den Kopf ziehen kann. Wie er er ist und nicht ich. Er findet eine Haarspange auf dem Teppich und legt sie ohne Vorwurf auf mein Nachtkästchen. Wenn er mir nur ein wenig Brechreiz verursachte jetzt, dann würde ich Wörter erbrechen.
Wir sind die Nägel, hat Karl einmal geschrieben, mit denen Gott sein Haus baut. Das Haus muß fest sein, und jeder Schlag muß natürlich den Nagel auf den Kopf treffen. Wir halten den Kopf hin, und jeder Schlag tut weh, aber wir sind eben die Nägel. Gott ist tot, hat Karl mir geschrieben, in einem anderen Brief. Wer soll sich da auskennen?
Rolf rechnet aus, was wir verdienen. Er sagt wir. Was wir heuer verdient haben und nächstes Jahr verdienen werden, und im zwanzigsten Jahr nach seiner Anstellung bei der VÖEST, was er da alles für uns verdient haben wird. Ich soll nicht die Fäden aus dem Tischtuch ziehen, wenn er mit mir die Zukunft bespricht. Und warum ich traurig bin, er liebt mich doch, er will, daß wir harmonieren, und er wollte Blitz nicht treffen, er hat nur eine Ladung Schrot auf ihn abgeschossen, damit er sich das Hühnerjagen abgewöhnt. Das ist üblich, daß der Jäger mit Schrot hinten an seinem Hund vorbeischießt, um ihn zu schockieren. Aber Blitz hat sich umgedreht, ein Schrotkorn erwischte ihn im Auge, und das quillt nun auf, verfärbt sich, aber Blitz wurde ja gleich ins Tierspital gefahren, wurde narkotisiert, er spürte bestimmt nichts, er bäumte sich nur auf und sprang im Tiefschlaf vom Operationstisch, weinte auf dem Gummiboden, und der Arzt sagte, besser nicht operieren, die leere Augenhöhle würde ständig fließen. Sollte das Tier Kopfschmerzen haben, dann mischen Sie Tabletten ins Futter. Oder Sie schläfern ihn ein. Rolf sagt, dazu war ihm der Hund zu teuer. Und ich soll nicht hysterisch sein, Blitz weiß ja nicht, daß er blind ist.
Er weiß es nicht, er stößt nur gegen Tischkanten, wirft Gegenstände um, sieht die Autos nicht, die von rechts kommen, jault, bellt, reibt sein Auge gegen Polsterstühle und gegen alles, was weich ist, reibt seinen Kopf an den Mänteln der Menschen, die uns besuchen, und manchmal reibt er seinen ganzen Körper an den Menschen. Er macht jetzt zu viele Scherereien. Die Nachbarn beschweren sich über die Geräusche, die nachts aus der Wohnung kommen. Rolf will sich keine Feinde machen wegen eines Tieres. Es ist auch besser für Blitz, sagt er, und da muß man eben Opfer bringen. Blitz gehört Rolf. Komm, gib Pfötchen, brav, Auto, komm, schau, wie er sich noch immer freut, wenn er Auto hört, es ist wirklich schade, sagt Rolf. Blitz läuft voraus, die Stiegen hinunter, stößt an den Wänden an, setzt sich vors Auto, wie er es gelernt hat, wartet und legt den Kopf schief, während Rolf aufsperrt, springt auf den Rücksitz, wie er es immer gehalten hat, leckt über das Leder, weil er Rolfs Nacken nicht lecken darf. Es ist seine letzte Fahrt.
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