Will Trent 02 - Entsetzen
ehrlich zu mir sein.«
Er zupfte an einem Riss in seiner Jeans. Sie sah, dass seine Fingernägel abgekaut waren. Die Nagelhaut war rissig und gerötet.
»Hat Adam sich eine Waffe gekauft?«
Er zupfte weiter an seiner Jeans. Er zuckte die Achseln, und sie wusste noch immer nicht, ob sie ihm glauben sollte.
»Soll ich vielleicht deinen Vater anrufen?«, schlug sie vor.
Er riss die Augen auf. »Nein. Tun Sie das nicht. Bitte.«
»Ich kann dich nicht einfach allein lassen, Gabe.«
Weder füllten sich seine Augen mit Tränen. Seine Lippen zitterten. Er wirkte so verzweifelt, dass sie das Gefühl hatte, er hätte direkt in ihre Brust gegriffen und ihr Herz mit seiner Faust gepackt. Sie hätte sich selbst in den Hintern treten können, weil sie es so weit hatte kommen lassen.
Sie wiederholte: »Ich werde dich nicht allein lassen.«
»Ich bin okay.«
Faith fühlte sich gefangen in einer unhaltbaren Position.
Gabe war offensichtlich ein junger Mann mit vielen Problemen, aber das durfte im Augenblick nicht ihre Sorge sein. Sie musste die Drohbriefe ins Labor bringen, um herauszufinden, ob von ihnen verwertbare Fingerabdrücke abzunehmen waren. In Irland gab es einen Studenten, der Adam sein Auto verkauft hatte - ein Auto, das wahrscheinlich benutzt worden war, um Emma Campano vom Copy Right wegzuschaffen. Es gab zwei Elternpaare, die heute Abend ihre toten Kinder identifizieren würden. Auf der anderen Seite Atlantas gab es eine Mutter und einen Vater, die wissen wollten, ob ihre Tochter noch am Leben war oder nicht.
Faith zog ihr Handy hervor und überflog die Liste ihrer jüngsten Anrufe.
Gabe fragte: »Werden Sie mich jetzt verhaften?«
»Nein.« Faith drückte die Wahlwiederholungstaste auf ihrem Handy. »Ich besorge dir jetzt Hilfe, und dann muss ich meine Arbeit machen.« Sie sagte nicht, dass sie sich, bevor sie den Campus verließ, jeden Gegenstand in seinem Zimmer vornehmen würde, darunter auch den Computer, den er Adam geborgt hatte.
Gabe lehnte sich wieder ans Bett, und jetzt wirkte er irgendwie resigniert. Er starrte die Matratze gegenüber an. Faith verkniff es sich, die Hand auszustrecken und ihm eine lose Haarsträhne hinters Ohr zu stecken. Pickel sprenkelten sein Kinn. Auf seiner Wange sah sie Stoppeln, die er beim Rasieren übersehen hatte. Er war noch immer ein Kind - ein Kind, das sehr verloren war und Hilfe brauchte.
Victor Martinez' Sekretärin antwortete nach dem zweiten Klingelton. »Studentenbüro.«
»Hier Detective Mitchell«, sagte sie zu der Frau. »Ich muss dringend mit Mr. Martinez sprechen.«
10
W ill stand hinter Gail und Simon Humphrey, die vor dem Sichtfenster warteten. Die Szenerie war so, wie man sie aus Film und Fernsehen kennt: Auf der anderen Seite der Scheibe hing ein schlichter Vorhang. Wenn Will auf einen Knopf drückte, ging der Vorhang langsam auf, und das gewaschene und hergerichtete Opfer wurde sichtbar. Ein Laken war bis zum Kinn hochgezogen, um die breiten Nähte zu verdecken, die den Y-Schnitt zusammenhielten. In der Fiktion sanken die Mütter in dieser Situation in die Arme ihrer Gatten.
Aber die Kameras konnten nicht alles einfangen: Den stechenden Geruch der Leichenhalle; das leise Surren der riesigen Kühlräume, in denen die Leichen aufbewahrt wurden; die Art, wie der Boden die Sohlen der Schuhe festzusaugen schien, wenn man auf dieses Fenster zuging; die Schwere des Arms, wenn man ihn ausstreckte, um auf den Knopf zu drücken.
Der Vorgang ging auf. Die beiden Eltern standen stumm da, wie gelähmt. Simon bewegte sich als Erster. Er hob den Arm und drückte die Hand gegen das Glas. Will fragte sich, ob er daran dachte, wie es sich anfühlte, die Hand seines Sohnes zu halten. War das etwas, das Väter taten? Im Park, draußen in der Öffentlichkeit, spielten Väter und Söhne immer Ball oder warfen Frisbees, und der einzige Körperkontakt zwischen ihnen war ein Verstrubbeln der Haare oder ein Klaps auf den Arm. Das schien die Art zu sein, wie Väter ihren Söhnen das Mannsein beibrachten, aber irgendwann, vielleicht ganz früh, mussten sie doch fähig gewesen sein, einander an der Hand zu halten. Eine winzige Hand, umschlossen von einer großen. Irgendwann hatte Adam sicherlich Hilfe beim Überqueren der Straße gebraucht. Und in einer Menge hatte er ihn sicherlich nicht aus den Augen verlieren wollen.
Ja, entschied Will, Simon Humphrey hatte die Hand seines Sohnes gehalten.
Gail drehte sich zu Will um. Sie weinte nicht, aber er spürte eine
Weitere Kostenlose Bücher