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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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anstarrten, gingen ihm sehr zu Herzen. Dennoch ließ er sich auf die Knie nieder und fasste unter den Tisch. Abby schleuderte das Brot nach ihm. Es verfehlte ihn und schlidderte quer über den Fußboden der Küche. Dann hatte er sie gepackt, und zwei Minuten später steckte sie in ihrem warmen Winteranzug und umklammerte Teddy, das ausgestopfte graue Kaninchen mit den roten Knopfaugen und dem Baumwollkleidchen. Es war ein Geschenk von Harry Penn.
    Sie bepackten den Schlitten mit Reiseproviant und Mitbringseln für Mrs Gamely. Dann stiegen sie auf. Hardesty nahm die Zügel, Virginia saß neben ihm mit Abby auf dem Schoß, und Martin setzte sich auf die andere Seite. In der Hand hielt er eine Buggypeitsche. Seine Eltern hatten ihn instruiert, das Pferd nie zu schlagen, sondern es auf ein Zeichen von Hardesty nur leicht am Hinterteil anzutippen. Abby war zu einem kürbisgroßen Kokon aus Daunen und Pelzen zusammengeschnürt. Ihr Gesichtchen lugte wie das eines Eskimos aus einer silbrig glänzenden Pelzumrahmung hervor, und ihre Augen bewegten sich flink und voller Vorfreude hin und her. Martin sah in seinem Dress aus Seehundleder und Kojotenfell wie ein Nomadenkind aus. Seine Mutter war in ihren Zobel gehüllt, und Hardesty trug nach langer Zeit wieder die Schaffelljoppe, die er sich in den Rockies verdient hatte. Alle vier waren sie bis zur Taille in dicke, grünkarierte Wolldecken gewickelt.
    »Haben wir alles?«, fragte Hardesty.
    »Jepp!«, antwortete Martin. Virginia nickte.
    »Also los!«, sagte Hardesty. »Zum Coheeries-See!«
    Er schnippte mit den Zügeln, und der Schlitten fuhr an. Die Stute war stark und ausgeruht. Sie schien sich auf die nächtliche Fahrt zu freuen, zumal sie als Pferd genau wusste, wie hell der Mond scheinen würde.
    Sie fuhren mit klingenden Glöckchen durch den Park, und schon bald ging es in nördlicher Richtung den Riverside Drive entlang. Gerade verschwand der letzte Teil der Sonnenscheibe gleich einem schmelzenden, feurig-heißen Goldklumpen hinter den Palisades . Der Fluss war mit Eisschollen verstopft. Längs der Uferstraße gingen in den Wohnungen die Lichter an, und Kaminfeuer wurden entzündet. Nur der gedämpfte Hufschlag des Pferdes und der weiche, rastlose Klang der Glocken waren zu vernehmen. Sie passierten die verlassene Mautstelle, überquerten die Henry-Hudson-Brücke, und dann ging es durch viele weiße, menschenleere Straßen.
    In einer kleinen Talmulde zwischen zwei niedrigen Hügeln in Westchester gewahrten die Reisenden ein Leuchten am Himmel. Instinktiv beschleunigte die Stute ihre Gangart. Als sie aus dem Hügelland herauskamen und eine kleine Prärie mit schneebedeckten Gärten und kleinen Feldern erreichten, sahen sie hinter den Zweigen der Obstbäume den Mond. Er schickte sich gerade an, das Gewirr der Äste hinter sich zu lassen, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich sein mildes, perlmuttenes Licht in blendendes Weiß verwandelte. Schon war es, als ruhte die kühle runde Scheibe auf den zarten schwarzen Zweigen, und sie schien so nah zu sein, dass Abby die Arme ausstreckte, um sie zu berühren. Dann jedoch kletterte sie gelassen weiter, ihrem angestammten Platz zwischen den Sternen entgegen, und die Marrattas eilten durch weißes Licht und dunkle Schatten gen Norden.
    *
    Irgendwo in Dutchess – der Mond hatte seinen Scheitelpunkt erklommen, und die Kinder schliefen – ging die Fahrt durch Hohlwege und pechschwarze Gründe, wo Schneeeulen und Adler auf Felszinnen und toten Bäumen hockten wie Wachtposten einer verfemten Bergfeste. Für den eleganten Kutschgaul, der in Belmont geboren und großgeworden war, erwies sich dieser Weg als zu schwierig und zu steil.
    »Fahr an der nächsten Abzweigung links!«, sagte Virginia.
    »Kennst du denn diese Gegend?«, fragte Hardesty.
    »Ich kenne das Terrain. Hier sieht es genauso aus wie in den Bergen, hinter denen der Coheeries-See liegt. Eine Straße wie diese führt irgendwann zum Fluss hinab. Die Stute ist müde, weil sie nur an die Stadt gewöhnt ist. Sie hat viel zu dünne Fesseln, um die ganze Nacht durchs Gebirge zu rennen. Die Pferde bei uns sind da robuster und halten bis zu einer Woche durch, ohne anzuhalten, genau wie die Eisbären, die einen Monat lang im Meer schwimmen können, oder die Robben, die von Alaska nach Japan wandern. Wenn diese Stute die ganze Nacht hindurch rennen soll, dann braucht sie für eine Weile ebenes Land. Wir fahren am besten zum Fluss hinunter. Er ist bestimmt

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