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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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den Beutestücken statt. Außer Willas Geschenk an ihren Vater – dem ersten Geschenk, das er je von ihr bekommen hatte – war nichts mehr sicher. Anderthalb Tage lang hatte sie überlegt, und dann war Peter Lake über den See in den Ort gefahren und hatte es besorgt. Isaac Penn öffnete seine Geschenke als Letzter. In einer großen Schachtel, in deren Deckel Löcher geschnitten waren, fand er ein dickes, weißes Kaninchen, das ein kleines Schild mit der Aufschrift Von Willa um den Hals trug.
    Am Nachmittag des ersten Weihnachtstages machten Beverly und Peter Lake eine Ausfahrt. Sie nahmen mehr als ein halbes Dutzend Kinder mit – Willa, Jack, Harry, Jamie Absonord, die beiden Gamely-Kinder und Sarah Shingles, ein dickliches, launisches Mädchen aus der kleinen Stadt, das in sich die Gewitztheit eines Yankees, den magischen Sinn eines Indianers, die Sachlichkeit eines Engländers und die Verschrobenheit eines Holländers vereinigte. Sarahs wortkarge, kälteerprobte Eltern und sie selbst saßen auf dem etwas höheren Rücksitz des Schlittens und setzten ein Gesicht auf, als wären sie auf alles gefasst.
    Da der See diese Weihnachten von einer völlig ebenen Schicht verharschten Schnees bedeckt war, hatte Athansor endlich genug Platz, um sich nach Herzenslust auszutoben. Sobald Peter Lake die Zügel lockerte und ihm freien Lauf ließ, wendete er sich augenblicklich der Längsachse des Sees zu und begann, mit mächtigen Sätzen dem Horizont entgegenzustreben. Schon nach wenigen Augenblicken wurde das Tempo der schnellsten Pferdeschlitten überschritten, aber das war nur der Anfang. Als der weiße Hengst richtig loslegte, traf der Fahrtwind die Passagiere wie ein Schlag. Sie beugten sich weit vor und kniffen die Augen zusammen. Ein Eissegler wurde überholt, der über eine vom Schnee geräumte Spur sauste. Der Schlitten war so schnell an ihm vorbei, dass die Insassen des Seglers für einen Augenblick glaubten, sie stünden auf dem Fleck. Nun warf Athansor den Kopf in die Höhe und machte mehrere lang gestreckte Sprünge. Der Schlitten löste sich vom Eis. Er flog! Hin und wieder setzten die Kufen sacht auf, und der harte Schnee wurde mit einem kurzen Zischen zu einem Sprühregen aus winzigen Eiskristallen zerstäubt. Die Kinder staunten, aber sie hatten keine Angst.
    Auf ihrem Flug gen Westen fiel ihnen plötzlich auf, dass die sinkende Sonne zum Stillstand kam, einen Augenblick über dem Horizont verharrte und dann wieder zu klettern begann. »Mein Gott!«, entfuhr es Peter, »Die Sonne geht im Westen auf!« Aber niemand hörte ihn, denn der Wind traf sie mit solcher Wucht, dass sich die ganze Welt ringsumher in eine heulende Sirene verwandelt zu haben schien. Der Schlitten bewegte sich so schnell, dass seine Insassen das ferne Ufer nur noch als einen verwischten weißen Streifen wahrnahmen. Sogar die Gamelys duckten sich tief und schickten ein stummes Stoßgebet gen Himmel.
    Athansor verminderte das Tempo. Die Kufen berührten wieder festen Untergrund, der Fahrtwind nahm ab, die Sonne verharrte kurz und sank dann wieder dem Horizont entgegen. Das jenseitige Ufer des Sees war nicht mehr fern. Schließlich verfiel Athansor in den gemächlichen Trott eines ganz normalen Schlittenpferds, und Peter Lake lenkte ihn auf eine menschliche Siedlung zu, von der um diese Nachmittagsstunde schon ein paar sanfte Lichter herüberfunkelten.
    Das Dorf lag unter einer meterhohen Schneeschicht begraben. Die mühsam freigeschaufelten Häuser sahen aus wie die Schöpfungen verrückter Baumeister, die ihre Gebäude auf dem Grund tiefer Gruben errichtet hatten. Nur die Dorfkneipe stand auf einer windigen, schneefreien Anhöhe über dem See. Der Rauch aus den Kaminen stieg an diesem Tag in auffallend dünnen und scharf umrissenen Säulen in den stillen Himmel. Die Kinder merkten sich das für künftige Übungen im Zeichnen.
    Athansor beförderte den Schlitten im Trab bis vor das Tor der Scheune, die zu dem Gasthaus gehörte. Dort blieb er stehen und wandte den Kopf zu Peter, als wollte er ihn fragen, ob es dort hineinginge. Beverly wollte draußen warten, während Peter den Kindern drinnen ein Glas Grog spendierte, aber Peter war damit nicht einverstanden. Sie müsse unbedingt mitkommen, bat er. Warum auch nicht? Dies sei nicht Mouquin’s , hier wurde nicht getanzt, hier trugen die Frauen keine Korsagen unter ihren feinen Kleidern. Es gehe doch nur darum, ein angenehmes Viertelstündchen zu verbringen und dann zurückzufahren.
    »Nein«,

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