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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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wiederholte Beverly. »Ich fühle mich allzu erhitzt.« Peter legte ihr seine Hand zuerst auf die Wange und dann auf die Stirn. Ihre Temperatur konnte nicht normaler sein. Dennoch schien sie irgendwie aufgeregt.
    »Beverly«, bat Peter, »sag mir, warum du nicht mitkommen willst.«
    »Aber ich habe es dir doch schon gesagt!«, erwiderte sie. »Ich fühle mich so, als hätte ich Fieber.«
    Er dachte einen Augenblick nach. »Ist es meinetwegen?«, sagte er dann. »Vielleicht, weil ich kein Gentleman bin, keinen eigenen Kutscher habe und nicht die richtige Kleidung trage?« Mit einer Handbewegung wies er auf die offene Scheune, wo zwei Dutzend Kaleschen und ebenso viele Gäule in Reih und Glied standen. Die dazugehörigen Kutscher feierten rings um eine Schmiedeesse, die sie für diesen Anlass zweckentfremdet hatten, eine Art Party. Das Dorf war ein beliebter Treffpunkt vieler junger Leute. In regelmäßigen Abständen fuhren sie aufs Land hinaus, um in ihren Lieblingskneipen zu speisen und zu zechen. Je reicher sie waren, desto weiter war der Weg, den sie zurücklegten.
    »Du weißt genau, dass dies nicht der Grund ist«, antwortete Beverly.«Ich habe lieber einen Mann, der den Schlitten selber lenkt und ihn nicht lenken lässt. Kümmere dich nicht um mich. Wir gehen ja bald zusammen zu Mouquin’s .« Sie reichte ihm die kleine Willa, die an diesem außergewöhnlich düsteren Wintertag vor Aufregung glänzende Augen bekommen hatte. »Hier, die Kleine braucht dringend etwas zu trinken.«
    Die älteren Kinder waren schon eins über das andere aus dem Schlitten in den Schnee gepurzelt. Peter setzte sich Willa auf die Schultern und sprang ihnen hinterher. Unterwegs, auf dem Weg zu der Taverne, drehte er sich noch einmal für einen Augenblick nach Beverly um.
    Drinnen erregten er und die sechs Kinder viel Aufmerksamkeit. Unter den beifälligen Blicken ihrer männlichen Begleiter wechselten hübsche Frauen mit Willa, Jamie Absonord und der entzückenden kleinen, zwar knopfäugigen, aber doch irgendwie schönen Sarah Shingles ein paar Worte. Gern hätte Peter jetzt Beverly an seiner Seite gehabt. Ohne sie stimmte irgendetwas nicht. Die durchdringenden Blicke der anderen Gäste, die ihm jetzt peinlich waren, hätten ihn in ihrer Gegenwart stolz gemacht.
    Der Raum war erfüllt von flackerndem Feuerschein, von Fröhlichkeit und jener lockeren Beschwingtheit, wie sie sich beim Tanzen einzustellen pflegt. Klopfenden Herzens fühlte sich Peter in sein Jahrhundert, das neunzehnte, zurückversetzt, in seine eigene Kindheit. Damals war alles ruhiger, zugleich aber auch wilder und schöner gewesen. Erst hier, in einem abgelegenen Gasthaus am Coheeries-See, umgeben von Kindern und tanzenden Paaren, empfand er, dass Schönheit auch in dieser Zeit zählte. Er brauchte nur an Beverly zu denken, die irgendwo jenseits der dunklen Fenster im Freien auf ihn wartete.
    »Neun Antwerpener Flinder«, sagte er zu der Kellnerin. »Sieben ohne Gin, nein, warten Sie, einer mit einem Achtel Gin für dieses kleine Mädchen, sechs mit einem halben Gin …« Jamie Absonord quietschte in freudiger Erwartung des leichten Schwipses, mit dem sie das Lokal verlassen würde – »… und einer mit einem dreifachen. Und, ach ja, einer mit einem doppelten Gin in einem geschlossenen Behälter zum Mitnehmen. Bitte sparen Sie nicht mit Zimt, Zitrone, Sahne und gehackter Backpflaume!«
    Die Getränke wurden dampfend heiß serviert. Peter und die Kinder nippten an ihren Gläsern, während sie zwei Dutzend Paaren zuschauten, die mit Eleganz und Leidenschaft eine Art Quadrille tanzten. Die betagten Dielenbretter vibrierten. Dann und wann blinkte das Kaminfeuer durch eine sich rasch wieder schließende Lücke zwischen Gewändern aus Taft und Seide oder Schwalbenschwänzen aus feinster englischer Wolle zu ihnen hinüber. Die Kinder, die noch nicht ganz begriffen, was es mit diesem Tanz der Geschlechter auf sich hatte, vertieften sich mit erhitzten Gesichtern und voller Eifer in eines ihrer liebsten Ratespiele. Nur Harry, der schon an einer jener rätselhaften, für das Jünglingsalter so bezeichnenden Störungen litt, lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und schlief wie ein Narkoleptiker.
    Peter Lake bedauerte es noch immer, dass Beverly draußen geblieben war. Liebe und Sehnsucht überwältigten, sättigten ihn. Er atmete langsam und mit fast schmerzlichem Genuss. Er spürte eine Wärme, die seinen ganzen Körper durchströmte – nein, ihm war, als ob in ihm

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