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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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von Frankfurt aus?«
    »Noch, aber das wird sich in Zukunft ändern. Die Erfahrung zeigt, dass es gut ist, wenn ein Unternehmen in den jeweiligen Städten ein Büro hat. Die meisten dieser Projekte dauern nicht nur ein Jahr. Da lohnt es sich, Leute hinzuschicken, die vor Ort sind.«
    »Wie steht es finanziell?«, fragte Liebler. »Ich habe gehört, Sie hatten im letzten Jahr einige Probleme.«
    Winklers Gesicht, das sich Minuten vorher im Gespräch über das Unternehmen leicht entspannt hatte, verschloss sich erneut. Die Wangenknochen traten hervor wie eine Grenzlinie. Konnte der Charakter Knochen formen?
    »Wollen Sie etwa wissen, ob ich das Lösegeld zahlen kann?«
    »Lösegeld?«, fragte Liebler. »Es gibt keine Lösegeldforderung.«
    »Aber es wird noch eine kommen, oder?«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Das ist doch immer so«, erwiderte Winkler. Als müsste er nur bezahlen, damit sein Sohn zurückkehrte. War das der Grund, weshalb er emotional so wenig beteiligt war? War die Entführung für ihn ein Projekt, das er abwickeln musste?
    »Wir brauchen eine genaue Aufstellung aller Kontakte«, sagte Myriam, »die Sie seit Ihrer Abreise nach Hongkong hatten, sowie eine Liste aller Personen, mit denen Sie Geschäfte machen, eine Liste aller Bekannten sowie Verwandten. Uns interessieren vor allem Leute, die Sie erst in letzter Zeit kennen gelernt haben, Menschen, die Sie entlassen mussten, die einen Grund haben, Ihnen zu schaden, die sich seltsam benehmen, die Sie Ihre Feinde nennen würden, denen Sie Geld schulden oder einen Gefallen. Der Anrufer hat mit Akzent gesprochen. Also bitte auch eine Aufstellung aller Kontaktpersonen auf all diesen interessanten Baustellen, die Sie uns soeben geschildert haben.«
    »Sie verlangen, dass ich Ihren Job mache.«
    »Genau«, antwortete Liebler, »und wissen Sie auch warum? Weil es Ihr Sohn ist, der entführt wurde, und nicht unserer.« Dabei deutete er auf sich und Myriam.
    Es war intimer als alles, was Myriam bisher mit einem Mann erlebt hatte. So nah war ihr bisher noch keiner gekommen.

11
    Myriam saß in ihrem Büro und starrte zum Fenster hinaus. Wie lange war sie bereits so gesessen? Sie hatte keine Ahnung und wurde sich erst wieder ihrer Umgebung bewusst, als ihr Handy klingelte. Sie erkannte Lieblers Nummer auf dem Display.
    »Was gibt es?«
    »Meine Pizza dampft«, sagte er zur Begrüßung. »Können Sie hier vorbeikommen?«
    »Was ist mit Fischer?«
    »Der hat jemand, der ihn bekocht, sodass er satt und zufrieden um halb sieben im Präsidium sein kann.«
    »Es ist bereits halb sechs. Ein bisschen knapp für ein Essen im Restaurant.«
    »Das hier ist nicht gerade ein Restaurant«, sagte Liebler, »ich würde es eher einen Schnellimbiss nennen. Aber ich kann Ihnen schon einen Wein bestellen.«
    »Sie werden sich unterstehen, vor der Pressekonferenz Alkohol zu trinken.«
    »Ich brauche jemanden, der mich zurückhält. Also in zehn Minuten.«
    Myriam hatte Schwierigkeiten, in der Nähe des Schnellimbisses in Bockenheim einen Parkplatz zu finden. Das Semester war im vollen Gange. Gruppen von jungen Leuten überquerten die Straße ohne Rücksicht auf den Verkehr. Das Viertel hatte sich der Universität angepasst. Hier gab es Bücherläden, Copyshops und Stehimbisse.
    Sie parkte das Auto vor dem Senckenbergmuseum, wo ein Plakat darauf hinwies, dass der Tyrannosaurus Rex in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag feierte. Kinder wurden aufgefordert, ihm eine Glückwunschkarte zu schicken: Tyrannosaurus Rex, Senckenberganlage 25, 60325 Frankfurt am Main. Ausgestopfte Vögel, Fische in Alkohol, Felle in Mottenpulver hinter großen Fenstern. Darwins Archiv. Sie hatte sich immer vor dem Museum gefürchtet, weil sie sich vor der Natur fürchtete. Es schien, als sei ein Stachel zurückgeblieben in ihnen allen. Ein Stachel aus der Zeit des Tyrannosaurus Rex.
    Draußen fand gerade eine von Frankfurts Schlammschlachten im Abendverkehr statt. Das Wasser kam nicht nur von oben, sondern auch aus den Gullys. Bereits nach einer Sekunde tropfnass, überquerte Myriam die Straße. Sie zog die Schultern hoch und vergrub das Kinn in dem künstlichen Pelzkragen ihres Mantels. Die Sohlen der Krokodillederstiefel saugten sich im Wasser fest. Jeder Schritt klang, als ob ein Frosch nach dem anderen in einen modrigen Teich sprang.
    Liebler biss gerade in ein Stück fettige Pizza, als sie ihn entdeckte. Vor ihm stand ein Glas Wein. Sie stellte ihre Tasche auf dem schmutzigen Fußboden ab. Es

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