Wintermond (German Edition)
leisen Klicken auf und offenbarte Alex genau das, wonach er sich so lange gesehnt hatte: Geld.
Er schluckte und überlegte für den Bruchteil einer Sekunde, ob er sein spontanes Vorhaben lieber abbrechen sollte. Doch das konnte er nicht. Er brauchte das Geld und hatte nun die optimale Chance, seine Schulden mit nur einem Handgriff zu beseitigen. Also streckte er seine Hand aus und griff willkürlich nach einigen Geldbündeln. Er wollte nicht riskieren, das Geld vor Ort zu zählen, also nahm er sich einfach die Menge, die er zu brauchen glaubte. Zusätzlich griff er in die kleine Perlmuttschüssel und fischte sich die edle Smaragdschmuckgarnitur heraus, die er auf mindestens 30.000 Euro schätzte. Die Kette und das Armband stopfte er in seine Hosentasche, das Geld klemmte er unter sein Hemd zwischen seinen Bauch und den Hosenbund. Dann drückte er die Tür des Safes wieder zu und stolperte gleich darauf ein paar Schritte rückwärts.
Er hatte es tatsächlich getan. Aus einem unerfindlichen Grund fühlte sich das gar nicht so falsch an, wie er vorab geglaubt hatte. Nachdenklich betrachtete er das Handy neben dem Safe und prüfte das inszenierte Verbrechen wie ein Maler, der sein neustes Gemälde begutachtete.
Noch immer war ihm schwindelig und mittlerweile auch etwas übel. Ihm war klar, dass der Verdacht auf niemand anderen als Ben fallen würde, denn nur dieser kannte die Safekombination und schien sie nun sogar in seinem Handy gespeichert zu haben, als ob er diesen Raub schon länger geplant hatte.
Unter dem Alkoholeinfluss machte Alex sich die ganze Sache recht einfach. Er redete sich ein, dass Jo Ben so sehr verehrte, dass er ihm den Diebstahl vermutlich nicht allzu übel nehmen würde.
Diese Tat war die Lösung für Alex’ Schulden und zusätzlich ein Racheakt gegenüber Ben. Die Rache dafür, dass Ben Sämtliches zu verantworten hatte und Alex’ Leben in kürzester Zeit verunstaltet hatte.
Ben sollte spüren, dass er sich niemals mit Alex hätte anlegen dürfen und Jo sollte erfahren, wie sehr er sich in Ben getäuscht hatte und auf diese Weise erkennen, dass auch die besten Leistungen nicht alles im Leben bedeuteten.
So konnte Alex nicht nur seine Schulden und damit sein größtes Problem beseitigen, sondern mitunter seinen Vater belehren - in der Hoffnung, dass dieser endlich eine der wichtigsten Lektionen im Leben lernen würde:
Macht ist nur Geld und Geld nur das Ergebnis der richtigen Mischung von Glück und Leistung, doch Leistung kann nur durch harte Arbeit entstehen und durch harte Arbeit beginnt man recht schnell die wichtigsten Dinge im Leben zu vernachlässigen - nämlich die Familie.
Kapitel 19
Erschrocken fuhr Ben hoch und schaffte es kaum, seine Augen zu öffnen. Blinzelnd blickte er sich um. Er befand sich noch im Halbschlaf und brauchte dadurch einige Zeit, bis er das dröhnende Geräusch, das ihn geweckt hatte, lokalisieren konnte. Er zwang sich, seine Augen einen Spalt breit offen zu halten und suchte währenddessen mit seiner linken Hand den Nachtschrank nach dem Telefon ab, das er sich gestern aus Jos Wohnzimmer geborgt hatte. Bei dieser Erinnerung wurde ihm klar, warum er das fremdartige Klingeln nur schwer hatte zuordnen können, denn von seinem eigenen Handy war er eine andere Melodie gewohnt. Den besagten Gegenstand hatte er sich lediglich ausgeliehen, weil er sein Handy am Vorabend verlegt hatte und es mit Hilfe von Jos Telefon hatte orten wollen.
Als seine Fingerspitzen endlich den harten Kunststoff berührten, zog er es näher an sich heran, nahm es daraufhin in seine Hand, drückte auf die entsprechende Taste und hielt den Apparat schließlich an sein Ohr.
„Bei Tannenberger, Ben Richter hier“, meldete er sich, bemüht nicht zu verschlafen zu klingen.
„Da bist du ja!“, schallte ihm sofort die besorgte Stimme seiner Mutter entgegen.
Ben war irritiert und rieb sich erst einmal den Schlaf aus seinen Augen.
„Mom ...“, erwiderte er leise. „Wieso rufst du hier an?“
„Entschuldige bitte, dass ich mal wieder etwas von meinem Sohn hören möchte!“, war die patzige Antwort seiner Mutter.
Ben nahm das Telefon kurz von seinem Ohr und las die Uhrzeit vom Display ab. Es war gerade einmal kurz nach halb sieben. Dann legte er es zurück an sein Ohr.
„Weißt du wie spät es ist?“, fragte er heiser und schaffte es nur mit Mühe, eines seiner Augen offen zu halten.
„Du bist doch sonst auch so ein Frühaufsteher“, erwiderte seine Mutter unberührt.
Ben
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