Wir haben gar kein Auto...
und sehe eine unheilvolle Stechmücke, die kreisend auf uns zufliegt.
Gleich wird dieses blutsaugende wirbellose Ungeheuer, das offensichtlich den Klauen der Kois entronnen ist, gegen das einzige Opfer seines Durstes prallen!, denke ich. Die Stechmücke summt nicht und gibt auch sonst keine besonderen Geräusche von sich. Sie ist listig. Unbemerkt nähert sie sich und meint wohl, sie könne mich dort stechen, wo ich es am wenigsten erwarte. Sie glaubt, mir mit ihrem extrem dünnen Stachel Angst einjagen zu können, aber sie weià noch nicht, was sie erwartet. GefräÃig und gnadenlos scheint die kleine Mücke zu lächeln, bei der Vorstellung, dass sie gleich in meine Gewebe beiÃen wird. Allerdings kennt die Arme die
Smorfia Napoletana
nicht.
»Krieg der Stechmücke!« Ich stehe langsam auf, knipse die Nachttischlampe wieder an, um sie als Fackel zu benutzen, greife mir einen Schuh und blicke zum Fenster. Ich schaue nach oben, schaue nach unten und bemerke, dass das unheilvolle Insekt sich unter dem Heizkörper versteckt hat. Ich gehe auf die Knie und berühre mit dem Gesicht fastden FuÃboden. Gerade als ich sie in einer wenig bequemen Position zwischen Holzschuh und Heizkörper zerquetschen will, erhebt sie sich und fliegt davon. Daraufhin beschlieÃe ich, einen Frontalangriff mit beiden Händen zu starten. Ich drehe mich um, stecke mir die Nachttischlampe zwischen die Beine, greife nach dem anderen Schuh, und
zack
 â sie ist weg.
»Zum Teufel, wo bist du, unheilvoller Eindringling in die Häuser anderer?« Ich schaue nach oben, schaue nach unten. Verschwunden. »Das kann nicht wahr sein«, schimpfe ich, »elende ScheiÃmücke, wo bist du? Wo hast du dich versteckt?«
Ah, da ist sie ja. Der Stachel ist auf das Ufer des Bettes zurückgekehrt. Ich stelle die Lampe auf den Nachttisch zurück und schlüpfe mucksmäuschenstill mit einem Schuh wieder unter die Decke, und zwar in der Position wie zuvor. Jutta schnarcht weiter, reglos und glücklich. Ich lege mich also neben sie und starre unbeweglich die Wand an, auf die der Feind sich gesetzt hat. Dann hebe ich rasch den Schuh und zerquetsche die verwünschte Stechmücke mit aller Kraft. Jutta zuckt zusammen, doch Gott sei Dank nur einen Augenblick. Ihr Mund lächelt, die Muskeln entspannen sich, und sie kann erneut in ihren Traum versinken, der von Engeln und Kobolden bevölkert ist. Der Feind dagegen, der zerquetscht an der Wand klebt, beginnt unkontrolliert zu torkeln und setzt mühsam zu seinem letzten Flug an. Dann weicht die Kraft aus ihm, und er zerschellt auf dem weiÃen Laken. Ich habe gewonnen und kann endlich einschlafen.
Der nächste Tag beginnt mit meinem klassischen Satz: »Heute Nacht hat eine Stechmücke mich buchstäblich massakriert!«Was für ein Lügner ich doch bin. Ich habe sie massakriert, und heute bereue ich es bitter. Zwar juckt der Sticheiner Stechmücke weniger, wenn man es geschafft hat, die Mücke zu töten. Aber muss man sie deswegen gleich an einer Wand zerquetschen? Ich habe trotzdem eine Beule am Hals, die noch dazu wahnsinnig juckt! Ergo: Stechmücken sind wie Probleme. Selbst wenn du sie längst beseitigt hast, hinterlassen sie, zumindest für eine Weile, eine Spur. Da kann man sie genauso gut auch am Leben lassen, die Armen. Kurz und gut, um die Wahrheit zu sagen, heute Nacht habe ich lediglich einen neuen Sündenbock gefunden, an dem ich mich abreagieren konnte. zZZZZzzzzz.
Bewölkter Himmel. Die Kois plantschen glücklich im Teich, und das Ehepaar Dietrich beglückt uns mit einem reichhaltigen Frühstück. Sogar im Esszimmer hängt ein Prachtkoi in Temperafarben. Inzwischen habe ich mich informiert. Es wird erzählt, dass der Koi der mutigste japanische Fisch gewesen sei, der die Wasserfälle hinaufgeschwommen sei und sich in einen Drachen (das Symbol für Weisheit und Macht) verwandelt habe. Heute fühle ich mich gesund und stark wie ein Koi, und die Strecke, die uns erwartet, macht mir keine Angst.
Nachdem wir uns ausgiebig bedankt und verabschiedet haben, radeln wir auf einem Weg, der immer wieder mal leicht bergauf und bergab führt, unter leichtem Nieselregen nach Schongau. Ich habe das Gefühl, dass mir das Radfahren heute schon leichterfällt als gestern, auch wenn ich einen unbestimmten Schmerz am Ende des Beckenknochens spüre, was mich jedoch ebenso wenig beunruhigt
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