Wir müssen leider draußen bleiben
Bett, das gleichzeitig als Sitzecke und Essplatz dient. Im Hof laufen Hühner, eine Entenmama wackelt mit ihren winzigen Küken über den Lehmboden, ein Junge trägt ein Zicklein auf dem Arm. Mädchen in blau-weißer Schuluniform, die Bücher lose in der Hand, rennen kichernd in die Hütten. Im Hof sammeln sich Frauen in ihren bunten Saris und setzen sich auf den Boden. Ein Bild von pittoresker Schönheit, genau wie aus einem Werbeprospekt für Mikrokredite. Tatsächlich sind die gut 20 Frauen, die auf den Hof gekommen sind, allesamt Mikrokreditnehmerinnen.
Die Geschichte der Mikrokredite in Bangladesch beginnt mit einer Legende: Anfang der siebziger Jahre war Muhammad Yunus Professor für ländliche Wirtschaftsentwicklung an der Universität von Chittagong. Zu dieser Zeit, zwischen 1974 und 1975, herrschte in Bangladesch eine große Hungersnot, und Yunus verschrieb, sich der Armutsbekämpfung. Im Dorf Jobra, so berichtet Yunus, sei ihm eine junge Frau begegnet. Sufiya Begum war damals 21 und hatte drei Kinder, sie lebte mit ihrer Familie in einer schäbigen Lehmhütte mit undichtem Strohdach und fertigte von Hand Stühle aus Bambus an. Trotz harter Arbeit war es ihr nicht gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Yunus fand heraus, dass sich Sufiya Begum bei einem örtlichen Geldverleiher das Geld für den Bambus beschaffen musste: fünf Taka kostete das Material für einen Stuhl. Doch die Kreditzinsen waren so hoch, dass sie von dem Verkauf der Stühle nicht leben konnte. »Mein Gott, wegen fünf Taka ist sie zur Sklavin geworden«, habe sich Yunus damals gedacht. 452 Mit einer Studentin stellte er daraufhin eine Liste der verschuldeten Familien zusammen – sie kamen auf 42 Opfer, die zusammen umgerechnet 20 Euro Schulden hatten. » Ich konnte das nicht mehr mit ansehen. Ich legte diese Summe auf den Tisch und sagte ihnen, sie sollten sich mit diesem Geld selbst befreien«, sagt er heute. P eu à peu, wann immer es ihnen möglich war, sollten sie das Geld zurückzahlen. Sufiya konnte sich ein Haus bauen, und nach einem Jahr seien alle Frauen schuldenfrei gewesen. Für ihn sei dies ein »Heureka-Moment« gewe sen – er gilt noch heute als die Geburtsstunde der Mikro kredite in Bangladesch. 453 1976 begann Yunus damit, erste Strukturen für die formelle Vergabe von Mikrokrediten aufzubauen, 1983 wurde die Grameen Bank gegründet.
Die Idee ist einfach: Das System der Mikrokredite soll Armen Kleinstkredite gewähren; Leuten, die sonst keinen Zugang zu Finanzkapital hätten, weil ihnen – ohne Sicherheiten – keine Bank Geld gäbe. Mit Kleinstkrediten sollen sie ihr Unternehmen erweitern oder eines gründen, sich so einen Lebensunterhalt verschaffen und die Kredite samt Zinsen zurückbezahlen. So soll den privaten Geldeintreibern mit ihren Wucherzinsen das Wasser abgegraben werden. Verliehen wird das Geld fast ausschließlich an Frauen; es soll ihrer Selbstermächtigung dienen. Frauen gelten als besonders zuverlässig. Deshalb, schwärmt Yunus, liege die Rückzahlungsquote bei annähernd 99 Prozent. 454
Nirgendwo auf der Welt leben so viele Mikrokreditnehmerinnen wie in Bangladesch: 30 Millionen – ein Fünftel der Bevölkerung – haben im Schnitt je 60 Euro Schulden bei einem Institut. Mehr als zwei Milliarden Euro sind in Bangladesch als Mikrokredite in Umlauf, die Zinsen betragen je nach Institut 20 (Grameen) bis 40 Prozent. So viel deshalb, weil angeblich der Verwaltungsaufwand für derart kleine Beträge besonders hoch ist. Mit acht Millionen Kreditnehmerinnen ist die Grameen Bank der größte Mikrokreditgeber der Welt. Laut Muhammad Yunus hätten 64 Prozent der Frauen, die von seiner Bank fünf Jahre oder länger betreut worden seien, die Armut hinter sich gelassen. 455
Sozialer Ausschluss statt Frauenpower
Doch was die Frauen von Joymonirhat mir erzählen, sind leider ganz und gar keine Erfolgsgeschichten. »Früher war unser Leben hart und arm. Aber es war ein besseres Leben als heute. Jetzt ist hier jeder nur noch damit beschäftigt, die Schulden zurückzuzahlen. Sie bestimmen unser ganzes Leben«, sagt Dulali Begum. In ihrer Version der Geschichte kam 1988 die Grameen Bank ins Dorf, lud die Frauen zu einem Meeting auf dem Schulhof ein und machte ihnen die Kleinkredite schmackhaft. Seit mehr als 20 Jahren seien die Frauen von Joymonirhat nun verschuldet, manche sogar bei bis zu fünf verschiedenen Mikrokreditorganisationen. Dulali Begum sagt: »Es ist kein Frieden mehr in unseren Herzen.«
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