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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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Humor zu übersetzen ist nicht ganz einfach. Oft bleibt mir nichts anderes übrig, als etwas zu umschreiben oder genau zu erklären, dann ist das zwar korrekt übersetzt, aber natürlich nicht mehr so lustig.
    Man sollte schon etwas über die Kultur der Menschen wissen, für die man dolmetscht. Briten und Asiaten haben zum Beispiel eine ganz andere Vorstellung von Höflichkeit als die Deutschen. Wenn ein Deutscher einen Asiaten ganz direkt nach den Problemen in seinem Land fragt, dann ist das gar nicht unhöflich gemeint, würde bei einem Asiaten aber vielleicht so ankommen, wenn man das eins zu eins übersetzt. Also formuliere ich um, frage ein bisschen mehr um die Ecke. Wichtig ist ja, dass ich die Botschaft richtig transportiere, auch wenn ich dafür nicht immer ganz wortgetreu bin.
    Ich dolmetsche Englisch und Französisch, wobei eigentlich hauptsächlich Englisch nachgefragt wird, das ist nun mal so etwas wie die Lingua franca. Und das ist auch das Problem daran: Alle können irgendwie ein bisschen Englisch. Und manchmal sind die Leute regelrecht beleidigt, dass man ihnen eine Dolmetscherin zur Seite stellt. Hinterher sind dann aber alle sehr dankbar, dass ich da war, weil Englisch eben doch sehr vielschichtig ist, sobald es über ein bestimmtes Niveau hinausgeht. Und auch wenn einer auf Englisch prima smalltalken kann, stößt er in einer wissenschaftlichen oder politischen Debatte an seine Grenzen.
    Es gibt auch Redewendungen, die oft falsch gebraucht
werden und dann zu Missverständnissen führen. Deutsche sagen zum Beispiel oft: »Das ist doch common sense !«, wenn sie eigentlich sagen wollen: Da sind wir uns doch alle einig. Common sense heißt aber »gesunder Menschenverstand«. Also übersetze ich agreement , und viele sind dann etwas beleidigt, dass sie ihr common sense in meiner Übersetzung gar nicht wiederhören. Ich bin dann auch schon korrigiert worden, so was übergeht man dann höflich und fängt nicht an zu streiten.
    Ich schätze Redner sehr, die ihre Rede frei halten und nicht vom Blatt ablesen. Geschriebene Sprache ist anders aufgebaut und viel schwieriger zu dolmetschen, weil die Sätze länger und verschachtelter sind. Und es gibt tolle Redner, die einen Saal richtig mitreißen können und sehr charismatisch sind. Die auf den Punkt kommen und klar formulieren können. Dann macht auch das Dolmetschen am meisten Spaß.
    Schwierig ist immer, wenn jemand seine Sätze nicht beendet. Oder sehr schnell spricht, was vor allem Redner innen oft passiert. Vielleicht ist das dieser weibliche Drang zum Perfektionismus, alles besonders gut machen zu wollen, in besonders kurzer Zeit besonders viel Inhalt zu transportieren. Und da hechelt man als Dolmetscher dann oftmals ziemlich hinterher, das ist natürlich anstrengend.
    Als Dolmetscher wird man zum Generalisten. Ich bekomme Aufträge für Konferenzen zu den verschiedensten Themen, teilweise sind die sehr speziell. Und da muss ich mich natürlich in kürzester Zeit so gut es geht drauf vorbereiten, mir die Vokabeln aneignen und mich in die
Thematik einlesen. Wenn es bei der Konferenz um »Trockenfermentation« geht, muss ich erst mal verstehen, was Trockenfermentation überhaupt ist. Oder bei medizinischen Kongressen, wo es beispielsweise um Augenheilkunde geht, muss ich sicherstellen, dass ich alle englischen Fachbegriffe weiß und die Namen der Einzelteile des Auges kenne. Und das reicht dann meistens bei Weitem nicht aus, weil sämtliche Organe eines Körpers ja zusammenhängen.
    So lerne ich viel aus allen möglichen Bereichen, aber es bleibt auch immer ein Gefühl der Unzulänglichkeit. Weil ich nie perfekt sein kann, kann ich alles immer nur zu einem guten Teil verinnerlichen. Das ist der Fluch der Dolmetscher: Sie kennen sich in den abstrusesten Gebieten aus, aber eben immer nur ein bisschen. Und auch der Prozess des Dolmetschens ist nie perfekt, weil es weder perfekte Redner noch perfekte Akustik noch die perfekte Übersetzung gibt. Und je nachdem, wie perfektionistisch man veranlagt ist, kann das ganz schön quälend sein.
    Andererseits empfinde ich es als großes Privileg, Einblick in so viele unterschiedliche Lebenswelten zu bekommen. In meinen Vorbereitungen muss ich mich mit Dingen befassen, über die ich mir zuvor noch nie Gedanken gemacht habe. Oder ich muss mich in eine bestimmte Problematik eines anderen Landes einlesen,

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