Wofuer wir kaempfen
nach Murnau gezogen. Die erste Zeit war hart, vor allem, weil Tino eine Woche später zu seinem zweiten Einsatz nach Afghanistan ging, diesmal nach Kunduz. Eigentlich sollten zwei Jahre zwischen zwei Einsätzen liegen – aber schon neun Monate nach dem ersten Einsatz ging es wieder los. Und ich lebte unverheiratet das einsame Leben einer Soldatenfrau.
Kunduz 2004
Auch Tino empfand unsere Trennung als hart: »Wenige Monate, nachdem Antje zu mir nach Murnau gezogen war, musste ich schon zu meinem zweiten Auslandseinsatz. Als Berufssoldat hatte ich mit der Einstellung eine entsprechende Mobilitätsverpflichtung abgegeben. Zudem trafen die Einsätze bestimmte
Truppengattungen besonders häufig; Soldaten mit einem hohen Ausbildungsgrad und viel Erfahrung waren gefragt – und da gab es eben doch nicht so viele, dass man hätte groß auswählen können. Außerdem war ich unverheiratet, hatte keine Kinder und galt als belastbar.
So flog ich wieder von Köln über Termez ins Bundeswehrhauptquartier nach Kunduz. Das »Camp Kunduz« im Norden Afghanistans liegt heute auf einer Ebene wie ein Spiegelei in der Mitte einer Bratpfanne. Den Rand der Bratpfanne bilden hohe Sicherheitswälle gegen Beschuss. Als ich damals in Kunduz war, befand sich das Lager militärisch ungünstig gelegen noch mitten in der Stadt. Die Sicherheitslage zeigte sich 2004 deutlich verschlechtert als im Jahr zuvor, und so hatte ich mit einem gepanzerten Fuchs-Transportfahrzeug für die Abholung gerechnet. Aber vor dem Flughafen wartete nur ein kleiner Mungo, der Mehrzwecktransporter der Luftwaffe, von den Soldaten auch spöttisch Gelände-Gocart genannt. Wahrscheinlich waren die Panzer im Einsatz. Aber es kam noch besser.
Gerade hatte ich meinen Seesack auf dem Bett in meinem Wohncontainer abgelegt, als ich schon antreten musste. Der Kommandoführer vom Personenschutz drückte mir einen Schlüssel in die Hand und sagte, ich soll zum Flughafen fahren, ein Team warte dort auf Abholung. Ich schaute auf den Schlüssel und dachte noch: ›Ach, guck an, ein Toyata-Schlüssel‹ und ging zur Fahrbereitschaft, während ich rätselte, seit wann Toyota gepanzerte Fahrzeuge baut. Plötzlich stand ich vor – einem Toyota. Ein normaler Jeep, frisch gewaschen, in einer strahlend weißen Metalliclackierung, die sich kilometerweit von der ockerbraunen Landschaft absetzt. Mit seinem ISAF-Aufdruck war er eine rollende Einladungskarte für die Taliban. Sollte ich tatsächlich bei ungeklärter Sicherheitslage mit diesem Auto auf einer von den Taliban überwachten Route Soldaten vom Flughafen abholen?
Aus dem Fenster meines Wohncontainers konnte ich die Spuren des Raketenangriffs sehen, mit dem die Terroristen wenige Tage zuvor ein großes Loch in das Stabsgebäude geschossen hatten. Es hatte drei Verletzte gegeben. Das hatte ich beim Abflug schon in den Nachrichten gehört und war entsprechend beunruhigt, als ich jetzt von dem Sprengloch zu meinem weißen Toyota sah. Ich hätte die Fahrt schlecht ablehnen können. Gleich am ersten Tag Ärger machen? So fuhr ich los, und glücklicherweise passierte auf dieser Fahrt nichts.
Erst später bekam ich einen gepanzerter Wolf und habe mich sicher gefühlt. Mit diesem Wagen bin ich Tausende Kilometer durch Afghanistan gefahren. Von Kunduz über den legendären Salangpass nach Kabul – oder von Kunduz nach Faizabad. Normalerweise nimmt man für lange Strecken einen Helikopter wie die CH-53 oder die Transall. Aber wenn Sandsturm herrschte, wurde gefahren. Einmal wurde ich um drei Uhr morgens geweckt, weil der Kommandeur nach Faizabad musste. Auf deutschen Autobahnen nachts um drei kann man ohne Stau 270 Kilometer in zwei Stunden locker schaffen. In Afghanistan habe ich damals 14 Stunden für diese Entfernung gebraucht. Das war eine echte Herausforderung für den Fahrer wie auch für den Mitreisenden, eingeklemmt auf einem Notsitz, mit dem Rücken zur Fahrrichtung, jedem Schlagloch hilflos ausgeliefert. Eine Straße, wie wir sie kennen, gab es nicht. Es waren Pisten. Es gab stellenweise nicht mal Brücken, der Fluss wurde an seichten Stellen überquert. Immer noch schlummerten überall in der Erde die gefährlichen Hinterlassenschaften aus dem Krieg mit der Sowjetunion: Minen. Wie quert man solche Stellen, ohne in die Luft zu fliegen? Der Trick ist zu warten, bis ein Afghane mit seinem Wagen kommt – und dann fährt man peinlich genau in seiner Spur mit einigem Abstand hinterher. Den Tipp hatte ich übrigens von einem Afghanen
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