Wolf unter Wölfen
sehen zu ihm hin, und wie von diesem Blick aufmerksam gemacht, hebt er den Kopf, sagt: »Feierabend!« und geht rasch, den Flintenriemen mit der einen Hand haltend, aus dem Bestand heraus der Schneise zu.
»Es ist kaum halb vier«, sagt der vernünftige Regimenter, nach seiner Uhr greifend, »und bis drei Viertel fünf kann man noch die Hand vor Augen sehen. Es ist doch eine Unvernunft, Herr Pagel, daß er uns jetzt schon nach Hause schickt!«
»Ach, red doch nicht, Karl!« sagt der andere wieder, der lieber selbst redet. »Er wird schon wissen, warum er im dunkeln Wald Angst hat. Die Leute sagen ja, der Tote aus dem Schwarzen Grund geht um, und wer von dem gesucht wird, der weiß das auch und macht, daß er vor Dunkelwerden aus dem Walde kommt.«
Pagel bezwingt den aufsteigenden Zorn, er sieht den Regimenter scharf an und sagt: »Hören Sie, mein Lieber, der Förster ist Ihr Vorgesetzter, und was er Ihnen sagt, das tun Sie, verstanden?«
»Wenn einer verrückt ist, dann denke ich gar nicht daran, zu tun, was er mir sagt«, antwortet der Mann. »Und der Förster ist verrückt, und das sage ich ihm so lange, bis er aus dem Walde abhaut.«
»Hören Sie …«, sagt Pagel heftiger.
Aber der Regimenter unterbricht ihn. »Daß der ein schlechtes Gewissen hat«, erklärt er, »das sieht man doch. Den Revolver von dem Toten hat keiner gefunden, und viele sagen, es war überhaupt ein Büchsenschuß …«
»So!« ruft Pagel heftig. »So, Sie Waschweib!« Und mit plötzlich ausbrechendem Zorn: »Gott, Mann, schämen Siesich denn gar nicht, solch dummes Gewäsch nachzuerzählen!?! Das ist ein alter anständiger Mann, dem macht man das Leben nicht noch schwerer, als es schon so ist!«
»Da haben Sie recht, Herr Pagel«, sagt der andere Regimenter. »Ich sage auch immer …«
»Red nicht, Karl«, unterbricht ihn der andere wieder. »Das weiß man ja, Beamter hält zu Beamten. Aber ich rede, wenn was stinkt, und bei dem Förster stinkt was …«
»Sie sind entlassen!« ruft Pagel heftig. »Sie sind auf der Stelle fristlos entlassen! Ich gebe Ihnen eine Woche Zeit, die Wohnung zu räumen. Guten Abend.«
Damit macht er kehrt und geht durch das raschelnde Blaubeerkraut zu seinem Rade. Er hat kein gutes Gefühl in der Brust – aber was soll man tun? Der arme Kerl kann auch nichts dafür, daß er roh und dumm ist. Aber der Förster kann auch nichts dafür, daß er verbraucht und krank ist. Der junge Regimenter findet jetzt zur Schlagzeit überall Arbeit, der alte Förster kaum je wieder im Leben.
Er tritt kräftig auf die Pedale und versucht, einen Augenblick an den Brief seiner Mutter zu denken. Es ist kaum ein paar Stunden her, daß er fast glücklich war! Aber der Brief bleibt trotz aller Bemühungen etwas sehr Fernes, wie ein kleines Licht, das man in der Nacht durch viele Waldbäume sieht und das man doch nicht erreicht, weil sich immer wieder nächtiges Gebüsch und dunkles Gezweige dazwischenschieben und den kleinen, strahlenden Punkt auslöschen.
Nach einer Weile erreicht er den Förster, der mit gesenktem Kopf seinen Weg entlangzottelt, genau wie ein Hund, der den Herrn verloren hat. Er hebt auch nicht den Kopf, als der junge Mann neben ihm vom Rade springt, er zottelt weiter, als sei er ganz allein.
Eine kurze Zeit gehen sie schweigend nebeneinanderher, dann sagt Pagel: »Den Schmidt hab ich eben entlassen, Herr Kniebusch. Er kommt morgen schon nicht mehr zur Arbeit.«
Der Förster schweigt lange. Dann seufzt er und sagt: »Das hilft auch nichts, Herr Pagel.«
»Warum hilft das nichts, Herr Kniebusch? Ein Stänkerer weniger ist auch eine Sorge weniger.«
»Ach«, sagt der alte Mann. »Für jede Sorge, die weggeht, kommen zehn neue dazu.«
»Und welche sind heute dazugekommen?« fragt Pagel. »Hängt es damit zusammen, daß Sie kein Holz mehr anzeichnen?«
Aber das war für den veränderten Kniebusch zu aufdringlich gefragt, er kniff die Lippen zusammen und antwortete nicht.
Nach einer Weile fing Pagel wieder an: »Ich habe mir gedacht, Herr Kniebusch, ich rufe heute abend den Doktor an und spreche mit ihm. Und morgen gehen Sie zu ihm und werden krank geschrieben und ruhen sich richtig einmal aus. Dafür stehe ich Ihnen. Sie wissen doch, sechsundzwanzig Wochen haben Sie Anrecht auf Krankengeld.«
»Ach, wer soll denn von dem Krankengeld leben?« sagte der alte Mann mutlos, aber doch nicht mehr völlig verzweifelt.
»Sie haben doch Ihr Deputat, Kniebusch. Das würden wir Ihnen weiter geben. Verhungern
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