Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
Vom Netzwerk:
versteifte mich, und etwas zuckte über sein Gesicht; der Ausdruck kam und verschwand so schnell, dass ich ihn nicht näher bestimmen konnte.
    „Ich kann nicht“, lehnte ich ab, und er nahm die Hand von meinem Arm.
    Ich wünschte, ich hätte für ihn das Gleiche empfinden können, was er für mich zu empfinden schien. Wären wir uns in Philadelphia begegnet, bevor Rodolfo und New Orleans in mein Blut gesickert waren und in mir die Sehnsucht nach mehr geweckt hatten, vielleicht hätte die Sache dann anders ausgesehen.
    „Damit hatte ich auch nicht gerechnet“, meinte er leise. „Aber es war einen Versuch wert.“
    Ich fragte mich, wie viel er über John und mich wusste oder sich zusammenreimte.
    Sullivan wandte den Blick ab und trat mit eingezogenen Schultern von einem Fuß auf den anderen. Allmählich begann ich seine Körpersprache zu verstehen.
    „Was ist da noch?“
    Sullivan holte tief Luft und ließ sie wieder entweichen, bevor er antwortete. „Die Erde.“
    Der winzige Hoffnungskeim in meiner Brust blühte auf. „Konntet ihr feststellen, woher sie stammt?“ Das wäre ein echter Erfolg.
    „Nicht genau.“ Er sah mich noch immer nicht an.
    „Was dann ?“
    „Die Probe enthielt verschiedene Bestandteile, die sie von der normalen Wald-und-Wiesen-Erde unterscheiden.“
    Die Wissenschaft der Forensik steckte noch immer in den Kinderschuhen; täglich wurden neue Methoden entwickelt und alte verfeinert. Allerdings konnte ich mich an nichts erinnern, das mit der Analyse von Erdproben zusammenhing.
    „Ich komm nicht mehr mit“, gestand ich.
    Nun wandte Sullivan mir endlich doch das Gesicht zu. Was ich in seinen Augen las, gefiel mir ganz und gar nicht. „Die Partikel auf dem Armband waren Friedhofserde.“

 
    20
    „I–Ich verstehe nicht.“
    „Die Erde stammt von einem Friedhof“, wiederholte Sullivan sanft. „Von einem alten – aus einer Zeit, als die Leute noch nicht so zimperlich waren hinsichtlich der Art, ihre Toten zu begraben.“
    Anders ausgedrückt ein Ort, wo Knochen und andere Körperteile mit der Erde eins werden würden.
    „Das heißt nicht, dass sie tot ist.“
    „Nein, nicht zwangsläufig.“
    „Selbst wenn wir mittels DNA-Test nachweisen, dass es Katies Blut ist, könnte das nichts weiter bedeuten, als dass sie auf das Armband blutete und es anschließend wegwarf.“
    „Auf einem Friedhof.“
    „Warum nicht?“
    Sullivan gab keine Antwort, worüber ich froh war. Ich wusste, dass ich nach Strohhalmen griff, aber momentan hatte ich nichts anderes.
    Er legte seine Hand auf meine Schulter und zog mich an sich. „Ich wollte es dir persönlich sagen.“
    Ich lehnte mich an ihn, obwohl ich das nicht hätte tun sollen. Ich identifizierte mich mit Sullivan; ich mochte ihn, auch wenn ich ihn nicht liebte. Als ich mein Gesicht an seinem Hemd rieb, wurde mir die Brust eng vor lauter Sehnsucht, bei einem Mann zu bleiben, den kein Geheimnis umgab, bei dem ich sicher war. Doch dann legte er die Arme um mich, und da wusste ich, dass es ausgeschlossen war.
    Ich rückte von ihm ab und entdeckte zu meiner Überraschung einen feuchten Fleck auf seinem hellgrünen Oberhemd. Mit dem Zeigefinger schnippte ich gegen seine Krawatte – marineblau wie sein Sakko und mit klitzekleinen Kleeblättern betupft. „Sieh nur, was ich mit deinem Hemd angestellt habe“, sagte ich.
    Er strich mir ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht. „Du kannst mit mir anstellen, was du willst, Anne.“
    Ich nahm seine Hand und drückte sie. Sein Blick glitt an meiner Schulter vorbei, und sein zärtlicher Ausdruck erstarb.
    John Rodolfo war eingetroffen. Seine Gedanken hinter der dunklen Sonnenbrille verborgen, zeigte sein Gesicht in unsere Richtung.
    „John?“, rief ich, aber er glitt durch die Hintertür in die heraufziehende Nacht.
    King warf mir einen vernichtenden Blick zu, und ich wollte schon dazu ansetzen, mich zu verteidigen, unterließ es dann aber. Ich hatte nichts Falsches getan.
    Warum sagte mir mein Gefühl dann etwas ganz anderes?
    Weil ich die Königin der Schuldgefühle war. Ich konnte mir nicht verzeihen, Katie nicht beschützt zu haben, konnte mich nicht mit meiner Unfähigkeit, sie zu finden, arrangieren. Ich hätte jeden aufspüren können, mit Ausnahme der einen Person, auf die es wirklich ankam.
    Und der einzige Mann, für den ich je etwas empfunden hatte, war derselbe, den ich unentwegt verletzte, ohne es zu wollen.
    „Danke, dass du gekommen bist, um es mir zu sagen.“ Ich ließ Sullivans

Weitere Kostenlose Bücher