Wut
»Als eine Indo-Lilly «, sagte sie bei ihrem zweiten Cosmopolitan, »war der Buhmann meiner Kindheit der Coolumber , der groß und weiß war und keine Worte, sondern Zahlen von sich gab und in der Nacht kleine Mädchen fraß, wenn sie ihre Hausarbeiten nicht machten und sich nicht zwischen den Beinen wuschen. Als ich größer wurde, erfuhr ich, daß die Coolumbers die Aufseher über die Zuckerarbeiter waren. Der spezielle Aufseher in meiner Familiengeschichte war ein weißer Mann namens Mr. Huge - eigentlich Hughes, nehme ich an -, der ein Tasmanischer Teufel war und für den mein Urgroßvater und meine Großonkels nur Zahlen auf einer Liste waren, die er jeden Morgen laut verlas. Meine Vorfahren waren Zahlen, Kinder von Zahlen. Nur die eingeborenen Elbees wurden bei ihren Nachnamen gerufen. Wir brauchten drei Generationen, um unsere Familiennamen aus dieser numerischen Tyrannei zu befreien. Bis dahin war das Verhältnis zwischen den Elbees und uns natürlich sehr schlecht geworden. Wir essen Gemüse , sagte meine Großmutter immer, aber die fetten Elbees essen Menschenfleisch. Tatsächlich gab es in Lilliput-Blefuscu früher einmal Kannibalen. Wenn man darauf hinweist, sind sie beleidigt, aber es ist eben so. Und für uns war Fleisch in der Küche eine Verunreinigung. Noch lange klang das Wort Schweinefleisch nach Teufelsbraten.« Wörter für Getränke spielten eine bedrückend große Rolle in ihrer Vergangenheit. Wenn es um Grog, Yaqona, Kava, Bier ging, waren sich die Indo-Lilliputaner und Elbees so einig wie sonst niemals; beide Gemeinden litten an Alkoholismus und den damit verbundenen Problemen. Ihr eigener Vater war ein mächtiger Schlucker, und sie war froh, vor ihm fliehen zu können. Es gab nur sehr wenige amerikanische Stipendien für die jungen Leute in Lilliput-Blefuscu, aber sie gewann eines davon und verliebte sich sofort in New York - genauso wie jeder, der hier eine Heimat fern der Heimat unter den anderen Wanderern suchte, die ganz genau dasselbe wollten: einen sicheren Hafen, in dem sie sich niederlassen konnten. Doch ihre Wurzeln ließen sie nicht frei, und sie litt stark unter dem, was sie als Schuld des leichteren Lebens bezeichnete. Sie war ihrem Saufbold von Vater entkommen, ihre Mutter und Schwestern dagegen nicht. Und auch für die Sache ihrer Landsleute in Lilliput-Blefescu trat sie voller Leidenschaft ein. »Die Paraden sind am Sonntag«, sagte sie und bestellte ihren dritten Cosmopolitan . »Würden Sie mit mir kommen?« Und Solanka - es war bereits Donnerstag - stimmte unvermeidlicherweise zu.
»Die Elbees behaupten, wir seien habgierig, verlangten alles und wollten sie aus ihrem eigenen Land vertreiben. Wir behaupten, daß sie faul sind und daß sie ohne uns nur herumsitzen, nichts tun und verhungern würden. Sie behaupten, daß man von einem weichgekochten Ei nur das kleine Ende aufzuschlagen braucht. Während wir - oder jedenfalls jene von uns, die Eier essen - die Big Endians aus Big Endia sind.« Über ihren eigenen Witz amüsiert, kicherte sie wieder. »Es wird bald Probleme geben.« Es ging, wie so oft, wieder einmal um Land. Obwohl die Indo-Lilliputaner auf Blefuscu inzwischen alle Landwirtschaft betrieben, für den größten Teil der Exporte des Landes verantwortlich waren und daher die meisten Devisen verdienten, obwohl sie erfolgreich waren und selbst für sich sorgen, ihre eigenen Schulen und Krankenhäuser bauen konnten, gehörte der Boden, auf dem das alles stand, noch immer den Eingeborenen , den Elbees. »Ich hasse das Wort Eingeborene «, rief Neela. »Ich bin in der vierten Generation Indo-Lilly. Also bin ich auch eine Eingeborene.« Die Elbees fürchteten einen Coup, eine Revolution mit Landnahme durch die Indo-Lillys, denen die Elbee-Verfassung immer noch das Recht verweigerte, auf den beiden Inseln Grundeigentum zu erwerben; die Big Endians ihrerseits fürchteten das gleiche, nur umgekehrt. Sie hatten Angst, daß die Elbees, wenn im Verlauf des folgenden Jahrzehnts ihre hundertjährigen Kontrakte ausliefen, sich kurzerhand das inzwischen wertvolle Ackerland zurückholen und den Indern, die es bearbeitet hatten, nichts übriglassen würden.
Aber es gab etwas, das die Sache kompliziert machte, wie Neela trotz ihrer ethnischen Loyalität und drei schnellen Cosmopolitans ehrlich eingestand. »Es geht hier nicht nur um ethnischen Antagonismus und nicht einmal um die Frage, wem was gehört«, erklärte sie. »Die Elbee-Kultur ist wirklich ganz anders, und ich
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