You are Mine
meine Handfläche gräbt, zucke ich nicht zusammen. Ich kann nicht. Ich werde nicht.
»Du bist ein Ghul«, zischt sie. »Ein Vampir, Nosferatu . Ich will dich nie wiedersehen. Du und Amerika, ihr pisst auf mich, ihr verdient euch.«
ba-dum ba-dum ba-dum
Die Fliesen bewegen sich schwarz-weiß hinter meiner Schulter, als ich mich in dem Bad des fremden Jungen in eine Ecke drücke. Was war es, verlange ich zu wissen, was hat er mir gegeben? Nur eine Glückspille, sagt er, etwas, was mir einen schnellen kleinen Hype verpasst. Schnell? Amphetamine, o Gott. Ich presse meine Hand auf die Brust, um mein Herz davon abzuhalten, herauszuspringen. Nur eine halbe Dosis, erklärt mir der Junge. Mach keinen Stress, Süße. Ich werde ihn umbringen, erkläre ich ihm, wenn ich das überlebe, werde ich ihn umbringen. Er grinst. Sicher, Süße. Genieß einfach den Trip. Meine Hände zittern, ich kann fühlen, wie mir Schweiß über die Kopfhaut läuft. Ich hätte nie auf diese Party gehen sollen, hätte nie etwas von den sinnlosen, leeren Sachen tun sollen, mit denen ich die letzten paar Wochen gefüllt habe. Ich hätte mit Heike zurückfliegen sollen nach Berlin. O Heike, o Baby, es tut mir leid. Ich liebe dich, tue ich wirklich. Das solltest du ihr wahrscheinlich sagen, meint der Junge und grinst wieder. Er legt seinen Kopf in meinen Schoß und ich lasse es zu.
Wenn ich das überlebe, werde ich es tun. Ich werde ihr sagen, dass ich sie liebe, ich werde ihr sagen, dass es mir leidtut, ich werde alles tun, was nötig ist, damit sie mir verzeiht. Halt durch, flüstere ich, ich komme. Mein Herz schlägt gegen meine Handflächen.
Berlin. Heike. Zuhause.
ba-dum ba-dum ba-dum
Eine Überdosis, erklären mir die zwei Mädchen, die jetzt in ihrer Wohnung leben. Vor weniger als einem Monat. Sie haben ein paar Kisten mit ihrem Zeug aufgehoben, nur für den Fall, dass jemand es abholen kommt. Was, ihrer Meinung nach, genauso gut ich sein kann. Ich nehme die Kisten.
Heike hat nie über ihre Familie gesprochen. Ich weiß nicht, ob sie Brüder oder Schwestern hatte oder ob ihre Eltern noch leben. Ob sie wissen, dass Heike tot ist. Dory weiß es auch nicht. Und ihm ist es auch vollkommen egal. Er hat einen anderen Dealer gefunden. Seine neue Freundin schlägt mir die Tür vor der Nase zu. Ich finde niemanden, der behauptet, mit ihr befreundet gewesen zu sein.
In den Kisten finde ich dreckige Kleidung und halbleere Make-up-Döschen. Eine Bürste. Die Umschläge der Notizbücher, in denen sie ihre Liedertexte gedichtet hat, alle Seiten sind jetzt herausgerissen. Da ist nichts von dem Amerika-Krimskrams, der früher ihre Wohnung gefüllt hat, nicht einmal ihre geliebte Jim-Morrison-Flagge. Und es gibt nicht den kleinsten Hinweis auf mich.
Ich verbrenne alles. Der Geschmack nach Benzin und Asche wird noch Tage anhalten, wenn ich mir die Zähne nicht putze. Alles außer einem Foto von Heike, das wir in unserer ersten Woche in Seattle mit einer Wegwerfkamera geschossen haben. Es ist leicht überbelichtet und nicht ganz scharf, aber Heike wirkt trotzdem wunderschön. Ihre kurzen Haare werden vom Wind um ihren Kopf geweht, ihre Augen sind hell und lebendig. Ich kann es nicht ertragen, sie in Flammen vergehen zu sehen.
Niemand sonst, beschließe ich. Niemand, nicht mehr, nie wieder .
Mein Herz kann den Schmerz nicht ertragen.
ba-dum ba-dum ba-dum
Schmerzen, ein fester Knoten tief in meiner Brust und ich weiche zurück, suche und navigiere instinktiv durch die Formlosigkeit, ohne wirklich zu verstehen, wonach ich suche. Nein, nicht wirklich instinktiv; etwas hier ruft mich, hier, hier, hier entlang. Warme Flüssigkeit auf meinen Lippen und ich trinke dankbar, meine Kehle ist ausgetrocknet, ich trinke und treibe zurück in mich selbst, zurück in die Leere, jetzt keine Gefahr, keine Bedrohung. Das kommt von dem singenden Auf und Ab von Stimmen im Hintergrund, weiblichen Stimmen – Heike? nein –, laut, aber unverständlich, die mich zurückziehen zu dem Schweiß auf meiner Haut, den feuchten Decken unter mir.
Alex? Alex?
Ich kämpfe gegen die Störung, rolle mich herum und sinke, jetzt schneller, tiefer, lausche auf den Herzschlag, damit er mich führt.
Sie zu suchen.
ba-dum ba-dum ba-dum
Jemand in der Menge tritt mir gegen die Ferse und fast wäre ich gefallen. Selbst so früh am Morgen ist die Flinders Street Station voller Leute. Andere Studenten schwärmen in Richtung der Tram-Haltestelle, aber ich bleibe zurück. Vielleicht hole ich
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