Zenjanischer Lotus (German Edition)
dich erwischt hätte.“
Unerwartet lachte Geryim bellend auf, bevor er geschmeidig auf die Füße kam: „Wenigstens in dieser Angelegenheit sind wir uns einig.“ Lautlos kam er auf Sothorn zu und
blieb dicht vor ihm stehen, sodass dieser gezwungen war, zu ihm aufzusehen: „Wir brauchen in dieser Familie keine Helden.“
„Helden?“, spottete Sothorn. Der Anblick der bernsteinfarbenen Augen über ihm machte ihn zu seinem Ärger nervös. Zu viel Tier, zu wenig Mensch. „Keiner hier ist
ein Held. Nicht du, nicht ich und keiner von den anderen. Gib doch zu, dass es dir um etwas anderes geht. Darum, dass du mich trotz meiner schlechten Verfassung nicht besiegen konntest.“
„Was für ein Unsinn. Ich hätte dich jederzeit besiegen können. Ich durfte dich nicht töten. Leider.“
Das brachte Sothorn zum Lachen. Es machte ihm Spaß, den anderen Mann zu reizen: „Gestehe es dir ein. Du kannst es nicht mit mir aufnehmen. Sei ein Mann.“
Er führte sich auf wie ein bockiges Kind, und er rechnete damit, geschlagen zu werden. Und er ertappte sich dabei, dass er diesen Gedanken nicht allzu unangenehm fand. Eine Schlägerei
wäre im wahrsten Sinne des Wortes etwas Handfestes in einem Universum, das in diesen Tagen an Stabilität verloren hatte.
Doch Geryim ballte lediglich die Fäuste, atmete schwer und wandte sich ruckartig von ihm ab. Bevor Sothorn sich versah, sprang der Wargssolja kopfüber in das Wasserbecken und tauchte
kurze Zeit später schnaubend an der anderen Seite wieder auf. Anscheinend war ihr Gespräch beendet.
Sothorns dunkle Seite lächelte.
„Ignoriere unseren wütenden Wolf“, waberte es plötzlich durch die grünen Lichtschwaden. „Setz dich lieber zu uns. Geryim ist in diesen Tagen nicht zu
ertragen.“
Es war eine weibliche Stimme, kräftig und eindeutig belustigt. Sothorn folgte ihr vorsichtig und erreichte bald das größte Bassin der Höhle.
Zwei Körper aalten sich im warmen Wasser und winkten ihm einladend zu. Er erkannte eine vollbusige Frau mit halblangen, dunklen Haaren und ein Wesen von zarter Gestalt, das er im ersten
Moment keinem Geschlecht zuordnen konnte.
Erst auf den zweiten Blick stellte er fest, dass es sich um einen blonden Jungen mit weichen Zügen und vollen, weiblich anmutenden Lippen handelte. Sothorn fürchtete fast, die beiden
gestört zu haben, bis ihm auffiel, dass sie weit auseinander saßen.
„Wir grüßen dich, Sothorn“, schnurrte die Frau und hielt kokett den Kopf schräg, während sie mit den Fingern über die Wasseroberfläche strich.
„Möchtest du dich zu uns gesellen?“
Er fragte nicht, woher sie seinen Namen kannte. Stattdessen schielte er in Richtung des Jungen, der ihn schweigend unter langen Wimpern beobachtete. Sein schmaler Oberkörper wirkte
angespannt, als fühle er sich nicht wohl in seiner Haut.
„Sicher?“, gab Sothorn zurück und nickte vielsagend in Richtung des Jungen.
Sie lachte guttural auf: „Keine Sorge, unser Enes ist etwas schüchtern, aber das gibt sich mit der Zeit. Komm doch zu uns.“ Sie wölbte den Rücken und spielte mit ihren
nassen Haaren. Erneut tätschelte sie das Wasser und schenkte Sothorn ein Lächeln: „Ich bin übrigens Ranaia.“
„Ich grüße euch“, entgegnete er ohne große Begeisterung.
Ihm war nicht nach Gesellschaft zumute. Schon gar nicht nach der einer Frau, die sich vor ihm streckte, damit er ihre Brüste auf dem Wasser schwimmen sehen konnte. Er erkannte in ihr eine
geborene Verführerin. Ihre weiblichen Reize hatten keine Wirkung auf ihn. Sein Körper verlangte nicht nach Liebe, hatte er nie getan. Danai war die einzige Frau, mit der er zusammen
gewesen war, und das lag eher an ihrer freundschaftlichen Verbindung als an ihrem runden Körper. Der Lotus duldete keine andere Geliebte.
„Das Wasser ist warm und tut den Knochen gut“, lockte Ranaia, doch Sothorn schüttelte abwehrend den Kopf.
Ohne weitere Erklärung oder auch nur den Versuch, eine Ausrede zu finden, zog er sich zurück.
Die reichen Bürger Balferes hätten sein Verhalten zweifelsohne als unhöflich empfunden. Sothorn besaß kein Gespür für gesellschaftliches Miteinander. Entsprechend
verwundert wäre er gewesen, wenn er sich umgesehen und die steile Falte auf Ranaias Stirn bemerkt hätte.
Sein nächster Weg führte Sothorn ins Freie. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, als er sich durch das massive Portal schob. Aber er hatte nicht damit gerechnet, in den Ruinen einer
Anlage zu stehen, die in
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