Zenjanischer Lotus (German Edition)
fiel der Schutz in sich zusammen und ließ vermehrt unangenehme Gedanken und Empfindungen
zu.
Die verschlossene Tür und das Gitter vor dem Fenster mauserten sich zu einem Feindbild.
Gefangen.
Seit seiner Ausbildung zum Assassinen war er nicht mehr eingesperrt worden. Ab einem gewissen Punkt hatte es gereicht, ihn mit dem Lotus gefügig zu machen.
Die Erinnerung an die Tage und Nächte in der Kammer unter der Festung, in die kein Lichtstrahl drang, hatte Sothorn in dieser Nacht in seine Albträume verfolgt. Er hörte seine
eigenen Schreie an die feuchten Wände prallen, spürte, wie seine Fingernägel abbrachen, wenn er an den Wänden kratzte, und die Nässe seine nackten Beine entlang
kriechen.
Er erwachte, nur um festzustellen, dass er wieder eingesperrt war. Es gab Licht, frische Luft, Wärme, und man versorgte ihn gut. Aber die Tür blieb verschlossen, der Weg in die
Freiheit versperrt.
Gereizt kratzte er sich im Nacken. Der dritte Tag. Er hatte schlecht geschlafen, nachdem er sich zu früh hingelegt hatte. Geryim hatte ihn erst am Abend allein gelassen. Leider. Seine
Anwesenheit hatte Sothorn mehr aufgeregt als besänftigt. Es war das für sein Verständnis falsche Wesen des Wargssolja, das ihn beunruhigte. Er mochte ihn nicht.
Das Rumoren seines Körpers hatte im Morgengrauen begonnen. Unruhe, gefolgt von den ersten, hauchzarten Krämpfen rund um seinen Bauchnabel.
Janis hatte ihm Frühstück gebracht, sich mit ihm unterhalten. Er hatte ihn unter anderem wissen lassen, dass Theasa und er die Festung für ein paar Tage verlassen mussten. Ein
wichtiger Auftrag wartete auf seine Vollendung, und ihre Vorräte mussten aufgestockt werden.
Sothorn hatte es sich nicht anmerken lassen, aber die Nachricht versetzte ihm einen Stich. Solange die Anführer und Gründer der Bruderschaft in der Nähe waren, fühlte er sich
halbwegs sicher. Er verließ sich auf ihr Wort, dass er nichts zu befürchten hatte. Wollte sich darauf verlassen.
Geryim hingegen konnte und wollte er nicht über den Weg trauen. Ihm nicht und den vielen fremden Gesichtern in der Bruderschaft erst recht nicht.
Mit einem leisen Zischen griff Sothorn sich an den Bauch. Seine Finger fuhren unter sein Hemd und strichen über die feste Haut. Die Wärme seiner Hand tat gut. Wärme linderte die
Schmerzen.
Eine Woge der Melancholie erfasste ihn, als er aus dem Fenster spähte und auf das Meer hinaus sah. Die Sonne hatte den Zenit überschritten. Selbst durch die Eisenstäbe hindurch
roch man den mit Gewalt nahenden Frühling. Der Winter hatte das Spiel der Jahreszeiten verloren und musste weichen.
Seltsam. Hatte er je darüber nachgedacht? Darüber, dass er den nächsten Frühling nicht mehr erleben würde?
Sothorn schüttelte sich unwillkürlich und wunderte sich über sich selbst.
Am Rande seines Blickfeldes bemerkte er eine Bewegung. Er richtete sich auf und reckte den Hals.
Tief unter ihm lag das Segelschiff, das ihm schon an seinem ersten Tag in der Zelle aufgefallen war. Es wiegte sich auf den Wellen. Zur Reling führte eine Holzplanke, über die
geschäftig wirkende Leute das Deck betraten. Sothorn glaubte, Janis unter ihnen zu erkennen. Die Frau, die geschickt in die Wanten kletterte, mochte Ranaia sein, aber sicher war er sich
nicht.
Nicht viel später entfalteten sich die Segel und füllten sich mit Wind. Sothorns Kehle wurde eng, als er zusehen musste, wie das Schiff gemächlich Fahrt aufnahm und auf den
Ausgang der Bucht zusteuerte.
Es wirkte verloren in der Weite des Meers – verloren oder frei; je nachdem, welchen Standpunkt man vertrat.
Wohin führte sein Weg? Kehrte es zurück? Brachte es Menschen, Güter oder Geschichten mit sich? Würde es in Balfere anlegen? Würde die Mission der Bruderschaft
erfolgreich verlaufen oder würde nur ein Teil von ihnen zurückkehren?
Unruhig ließ Sothorn sich im Stroh nieder, während das Segelschiff in der Ferne verschwand. Schleichend nahmen die Schmerzen zu. Sie bauten sich in seinem Torso auf und drückten
beständig nach unten. Die Geräusche, die dabei erklangen, erweckten den Eindruck, dass seine inneren Organe sich den Krieg erklärten hatten und aufeinander losgingen. Mal riss es auf
Höhe der Leber, mal toste unerträglicher Druck unter dem Schambein. Der Schmerz strahlte bis in seinen Rücken hinein und machte es unmöglich, eine bequeme Sitzhaltung zu
finden.
Ein regelmäßiges Beben lief über seine Schultern und Arme, bis er sich eine Decke umlegte. Doch gegen
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