Zenjanischer Lotus (German Edition)
die innere Kälte hatte die Wolle keine Wirkung. Sie nahm Sothorn auch
nicht das Zerren in seinem Bauch oder das Gefühl, dass sein Magen versuchte, in seine Lunge zu kriechen.
Als Geryim wenig später auftauchte, um ihm eine Mahlzeit zu bringen und ihm Gesellschaft zu leisten, war Sothorns Laune auf dem Tiefpunkt angekommen. Allein der Anblick des herben Gesichts
mit der dämlichen Tätowierung, umgeben von den an den Seiten geflochtenen Haaren, ließ ihn grollen. Am liebsten hätte er Geryim jeden Zopf einzeln herausgerissen.
„Verschwinde“, knurrte er unfreundlich und krümmte sich unter einer Schmerzwelle.
„Keine gute Idee“, gab Geryim leutselig zurück. „Du kennst die Regeln. Mit mir geht das Essen und vor allen Dingen das Wasser. Du wirst mit mir leben
müssen.“
„Ich habe heute schon genug getrunken.“
„Falsch. Du kannst gar nicht genug trinken. Wasser tut dir gut.“
„Dann gib schon her“, fletschte Sothorn die Zähne, obwohl er sich sicher war, dass er keinen Schluck herunterbringen würde.
Mühsam kam er auf die Beine und riss Geryim den Krug aus der Hand. Ein Teil des Wassers schwappte über den Rand und ergoss sich über die Wildlederhosen des Wargssolja. Geryim
knurrte einen Fluch in seiner Muttersprache, aber zeigte auch an diesem Tag keinerlei Streitlust oder gar Aggression.
Dabei wünschte Sothorn sich, sich mit dem anderen Mann zu schlagen. Eine gehörige Portion Prügel würde Geryim recht geschehen und seine eigenen Schmerzen in die Fäuste
verlagern.
Eilig trank Sothorn das Wasser und bereute es augenblicklich, als sich ein Ball kalter Pein in seinem Magen sammelte. Er keuchte und schnappte nach Luft, glaubte im ersten Augenblick an eine
Vergiftung, bis er begriff, was das Wasser in Gang gesetzt hatte.
„Raus!“, brüllte er, als der Druck zunahm und der Krug aus seiner Hand fiel. Er zersprang zu seinen Füßen in mehrere Teile.
Sothorn krümmte sich zusammen, versuchte ruhig zu atmen, wollte sich nicht vor Geryim entehren. Vor Anstrengung, sich nicht gehen zu lassen, standen Tränen in seinen Augen.
„Es geht los“, hörte er es murmeln, gefolgt von einem etwas lauteren: „Nein, ich bleibe hier. Wir haben das alle durchgemacht. Die Schmerzen sind schlimm, aber sie kommen
in Wellen. Es wird gleich besser.“
Sothorn gab sich alle Mühe, nicht wie ein verlorener Welpe zu winseln: „Diese Welle will aber hinaus. Geh! Verschwinde, du Hurensohn. Sofort!“
Er verlor die Beherrschung. Nicht nur über sein Temperament, sondern auch über seine Körperfunktionen. Es war nur noch eine Frage der Zeit.
Geryims Miene wurde angesichts der Beschimpfungen finster, bevor er in Sothorns Wahrnehmung aufreizend langsam die Teile des zerbrochenen Krugs aufsammelte und sich zum Gehen wandte: „Wie
du meinst. Ich sehe später nach dir.“
„Verpiss dich endlich!“
Kaum fiel die Tür zu, hetzte Sothorn zum Loch im Boden.
Wellen tobten durch seinen Leib. Wellen aus glühendem Schmerz. Die Krämpfe ließen ihn schwindeln, während sein Körper sich redliche Mühe gab, jedes bisschen Wasser
und Nahrung von sich zu geben.
Anschließend fiel er vorwärts auf die Knie und rang nach Atem. Hatte er geglaubt zu wissen, was ihn erwartete, wenn er seinem Körper den Lotus entzog? Ihm schwante, dass der
Entzug seine schlimmsten Erwartungen übertreffen würde.
Zitternd kroch er ins Stroh und blieb mit offener Hose und weit aufgerissenen Augen liegen.
Seekrankheit
„Nicht du schon wieder.“
In Sothorns Rücken vegetierte der dumpfe Schmerz des langen Liegens. Trotz der Decken und des aufgeschütteten Strohs spürte er den Stein unter sich, der seine unerbittliche
Kälte in sein Rückgrat sandte und an den einzelnen Wirbeln fraß.
Er lag auf dem Rücken, die ineinander verschlungenen Hände über dem Magen verkrampft, den Hals bis zu Schmerzgrenze gedehnt. Eine Veränderung seiner Haltung würde ihm
vielleicht Erleichterung verschaffen, aber er wagte nicht, sich zu bewegen.
Stattdessen beobachtete er den Fels über sich, dessen Mineraladern vor seinen Augen zu unsteten Ellipsen verschwammen. Sie hielten selten Takt mit dem Untergrund, der sich langsam unter ihm
drehte und schwankte wie ein Ruderboot im Würgegriff maritimer Raserei.
Er war übermüdet. Es war ungemein schwierig, zur Ruhe zu kommen und zu schlafen, wenn einen die Eingeweide in regelmäßigen Abständen aufspringen ließen.
Erst, als die Dämmerung ihre feuchten Finger durch das Fenster sandte,
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