Zenjanischer Lotus (German Edition)
seinem Elend allein lassen?
Sothorn fürchtete sich vor dem Tag, an dem er die Beherrschung verlieren würde. An dem er etwas tun oder sagen würde, das Geryim später als Munition gegen ihn verwenden
konnte.
Er wollte in seiner Schwäche nicht gesehen werden. Wollte nicht, dass die Bruderschaft abends am Feuer über ihn lachte, weil er sich schwerer mit der Entfernung vom Lotus tat als
andere vor ihm.
Der Sturm, der den Boden unter seinem übermüdeten Körper bewegte, gewann an Stärke. Der Seegang war eine Kriegserklärung für Sothorns Magen, der sich in seiner
eigenen Säure zu zersetzen schien. Kein Wein konnte so sauer sein wie die heiße Masse, die in seine Speiseröhre kroch und die empfindlichen Wände verätzte.
Sothorn stöhnte durch die Zähne und rollte sich zusammen. Sofort bereute er die Bewegung, denn sie förderte den Schwindel.
Kraftlos murmelte er: „Warum kannst du nicht einfach abhauen? Verschafft es dir Genugtuung, mich in diesem Zustand zu sehen?“
„Sicher“, erwiderte Geryim sarkastisch. „Ich kann mir keinen besseren Zeitvertreib vorstellen, als mit dir eingesperrt zu werden und dabei zuzusehen, wie dein Körper sich
neu ordnet. Du kannst mir gern glauben, dass ich auch lieber woanders wäre.“
„Dann sind wir uns einig. Verschwinde schon.“
Das Sprechen kostete Sothorn Kraft. Außerdem glaubte er, dass es besser war, wenn er die Lippen geschlossen hielt. Wer konnte sagen, was zum Vorschein kam, wenn er den Mund
öffnete?
„Hör auf, dich zu sträuben“, entgegnete Geryim hart. „Wir werden in dieser Sache nicht nach unserer Meinung gefragt. Theasa und Janis wissen, was sie tun und was gut
für dich ist.“
„Du sicher nicht“, unterbrach Sothorn ihn missmutig.
„Halt die Klappe und hör zu“, schnaubte der Wargssolja zunehmend ungehalten. „Noch einmal: Die beiden haben Erfahrung, und sie wissen genau, warum sie nicht wollen, dass
du allein bleibst. Man kann in dieser Zelle den Verstand verlieren. Willst du das? Nein? Gut, dann gewöhne dich daran, dass ich hier bin.“
„Es müssen andere Leute in der Bruderschaft sein, die mir Gesellschaft leisten können. Nettere Leute, die nicht jede Gelegenheit ausnutzen, mich zu provozieren.“
„Ich dich provozieren? Wenn ich mich recht erinnere, bist du es doch, der mit Beleidigungen um sich wirft und die Nase so hoch trägt, dass es hineinregnen könnte. Wie dem auch
sei: Es ist meine Aufgabe. Janis und Theasa verlassen sich auf mich. Und das ist mir wichtiger als deine Ablehnung.“
„Du kannst mich mal.“
„Nein danke.“
Sothorn ließ den letzten Kommentar an sich abprallen. Das Wortgefecht lenkte ihn etwas ab, aber ihm war zu übel, um sich ernsthaft mit Geryim anzulegen.
In diesem Augenblick, in diesem Zustand hasste er ihn mit jeder Faser seines Seins. Weil Geryim keine Gelegenheit ausließ, um ihm seine Überlegenheit zu präsentieren. Weil er
sich weigerte zu gehen. Weil es ihm gut ging und er sich wohl in seiner Haut fühlte.
In dem Versuch, Geryim zu ignorieren, konzentrierte er sich auf etwas anderes.
Er zwang sich, tief in den Bauch zu atmen, seinen Magen mit dem Luftstrom nach unten zu drücken, damit er sich nicht umdrehen konnte.
Ein. Aus. Ein. Aus.
Sothorn suchte nach einem festen Punkt an der Wand, einer Maserung im Gestein, auf die er sich konzentrieren konnte.
Ein. Aus. Gegen die aufsteigende Galle anatmen. Ruhig. Ein. Aus. Ein. Aus.
Sich entspannen. Vielleicht einschlafen und darauf bauen, dass es ihm besser ging, wenn er erwachte.
Es war ein Fehler.
Als die Müdigkeit seine Augen schloss, nahm sie die Kontrolle mit sich, die er mühsam aufgebaut hatte. Sothorn versank in weißen Wolken, nur um im nächsten Moment mit Gewalt
aus ihnen heraus katapultiert zu werden. Es war wie ein Sturz in eiskaltes Wasser.
Für einen Augenblick versuchte er, Atem zu schöpfen, im nächsten sprang er halb auf, stolperte und rutschte über den Boden, bis er vor dem Loch kniete. Sein Herz raste, als
wäre er auf der Flucht. Er hustete, als die bittere Flüssigkeit durch Mund und Nase gleichermaßen aus ihm hervorschoss. Er wand sich, hatte Schmerzen und fürchtete, Blut zu
sehen, wenn er sich den Mund abwischte.
Die Bewegung hinter sich nahm er in seiner Not kaum wahr. Erst, als er berührt wurde, als ihm die zerzausten Haare aus dem Gesicht gestrichen und im Nacken locker zusammengehalten wurden,
erinnerte er sich an die Anwesenheit Geryims.
Hätte der Versuch seines Magens, seinen
Weitere Kostenlose Bücher