Zenjanischer Lotus (German Edition)
Grund und Boden trieb?
Sothorn kannte sich nur bedingt mit Intimitäten aus, aber er glaubte zu wissen, dass die wenigsten Männer belauscht werden wollen, wenn sie ihren Geliebten – Frau oder
Mann – Nettigkeiten ins Ohr hauchten.
„Was hörst du?“, meldete Geryim sich unerwartet zu Wort.
Sothorn blickte zu seinem unliebsamen Wächter auf und verspürte eine Art Triumph, als er dessen ramponierte Nase betrachtete.
„Wer sagt, dass ich etwas höre?“, gab Sothorn zurück.
Er klang weit weniger störrisch, als ihm recht sein konnte. Eher erschöpft und gereizt als kämpferisch. Er fand keine Worte dafür, wie sehr er es manchmal hasste, Geryim um
sich zu haben. Überhaupt jemanden in seiner Nähe zu haben, der seine Demütigung an vorderster Front miterlebte.
Geryims Antwort war leise. Ein eigenartiger Ausdruck stand in seinem Gesicht, als er murmelte: „Da du nicht mit mir redest, nehme ich an, du hörst jemanden, den ich nicht hören
kann.“
„Und wenn schon?“, fauchte Sothorn. „Was geht es dich an, ob ich jemanden sprechen höre oder nicht?“
„Ich habe nur gefragt.“
„Lass es demnächst bleiben und kümmere dich um deinen eigenen Dreck.“
Ein winziger Teil von Sothorn schämte sich.
Unabhängig davon, dass sie keinen guten Anfang miteinander gehabt hatten, war Geryims Verhalten in diesen Tagen untadelig. Er beschwerte sich nie und ließ es sich gefallen, dass
Sothorn hemmungslos seine Launen an ihm ausließ. Über seine vermutlich gebrochene Nase hatte er kein Wort verloren.
Geryim legte mehr Geduld und Standfestigkeit an den Tag, als Sothorn ihm je zugetraut hätte.
Für seine harschen Worte entschuldigen wollte er sich dennoch nicht.
* * *
„It kjanæ gjøllen!“
Nein. Bitte nicht.
Sothorns Lippen öffneten sich zu einem Schrei, den er sich im letzten Augenblick verbot. Es begann wieder. Mit einem Mal wünschte er sich das Geflüster des verliebten
Pärchens zurück. Er wollte nicht wieder in ein Universum aus Feuer und brennendem Stein gerissen werden. Er konnte das nicht noch einmal ertragen.
Die Vision war stets dieselbe.
Er floh durch die Gänge der Festung, während der Stein um ihn herum in Flammen aufging. Die Schreie der Sterbenden verätzten seinen Geist, während er nach dem Ausgang suchte.
Er stolperte nach draußen. Er hörte die eigenartige Aufforderung, die Tochter des Schattens zu retten, und rannte zurück in die Festung. Und dann brach der Gang zusammen.
Vier Mal hatte er diesen Traum erlebt. Zwei Mal im Schlaf, zwei Mal, während er wach war.
Sothorn war sich mittlerweile sicher, dass es sich um ein Fragment der Vergangenheit der Festung handelte. Aber das Wissen half ihm nicht, wenn er zusammen mit den anderen Adelijar um sein Leben
rannte.
Verzweifelt versuchte Sothorn, sich an die Realität zu klammern.
Hätte er sich bewegen können, hätte er wohl die Hände nach Geryim ausgestreckt und ihn gebeten, ihm Halt zu geben. Zu grausam waren die Erinnerungen des Steins. Er hätte
Schlimmeres getan, als den Wargssolja zu berühren, um davor zu fliehen.
Sothorns Blick ging starr geradeaus. Dass sich unter Geryims gelassener Maske ein Funken aufrichtiger Sorge verbarg, nahm er kaum wahr.
Der Tanz begann von Neuem. Jeder Schritt, den er tat, war Teil eines komplizierten Musters, das seine Fäden durch seinen Geist spann.
Das Klappern einer Tür – ein Geräusch, das kein Teil des Traums war – erreichte ihn, und er fühlte, dass er allein war. Sothorns Kehle war rau, als er mit
steifer Zunge lallte: „Nein ... geh nicht.“
Tränen rannen ihm über die Wangen, als wollten sie die Flammen löschen, die in Sothorns Kopf brannten. Angst und Verzweiflung ergriffen von ihm Besitz.
Das letzte, was er sich fragte, bevor die fremde Welt ihn in sich hinein zog, war, ob die Bruderschaft ehrenwerte Ziele verfolgte. Angesichts seiner Qualen konnte er kein Vertrauen aufbauen und
an nichts und niemanden glauben.
* * *
Als Sothorn das nächste Mal zur Besinnung kam, saß Theasa dicht neben ihm im Stroh und beobachtete ihn ungerührt. Wann war sie in die Festung zurückgekehrt?
Bebend schob Sothorn die letzten Schwaden seines Traumes von sich. Er fühlte sich unbehaglich.
Dass Geryim seine Zusammenbrüche miterlebte, war ihm stets unangenehm. Dass nun eine zweite Person Zeuge seiner Ausflüge in den Irrsinn wurde, war fast schlimmer.
Er hob den Arm, um sich am Hals zu kratzen und verzog das Gesicht, als ein stechender Schmerz durch seinen
Weitere Kostenlose Bücher