Zigeunerstern: Roman (German Edition)
warum. Es ist ein verhexter Ort. Es spukt hier. Irgendein Gott hat hier seine Behausung. Nein, aber klar doch, nicht Gott, sondern ›irgendein Gott‹, und nicht gerade ein ausgesprochen freundlicher … Vielleicht ist es Pan, der alte griechische Berg-, Wald- und Wiesengott, der in einer seiner Gestalten – als gewaltiger Geißbock – für das bekannte Gefühl von ›panischem Schrecken‹ sorgte, wenn man ihn in seiner mittäglichen Ruhe störte. Die Panik haben wir immerhin noch von ihm behalten. Und die fühlt man hautnah in jedem Augenblick, Stunde um Stunde, auf Mentiroso wie eine unablässige Vorahnung von Unheil, die niemals nachlässt. Tatsächlich aber passiert dir nie etwas Schlimmes. Keine deiner argen Befürchtungen verwirklicht sich. Aber es gibt auch nie eine Flaute des panischen Entsetzens. Man kann sich nicht adaptativ daran gewöhnen, man kann nicht dagegen abgestumpft werden. Man kann sich nicht einreden, dass es weiter nichts damit auf sich habe, dass es sich bloß um ein verrücktes Naturphänomen handle, um irgend etwas in der Zusammensetzung der Luft. Nein, du zitterst einfach immer und immer weiter vor Angst und Schrecken, solange du an diesem Ort bist. In jeder Minute. Manchmal wird es schlimmer, aber nicht eine einzige Minute dort ist jemals erträglich-gut. Es ist also kaum verwunderlich, dass es auf Mentiroso keine höherentwickelten Lebensformen gibt. Und so wundervoll geschickt die Mutter Natur ist, selbst ihr gelang es offensichtlich nicht, dort einen komplizierteren Organismus zu entwickeln, der über ein Nervensystem verfügt, das lebenslangen Attacken von Furcht und Zittern gewachsen wäre. Anscheinend macht es Wanzen, Kriechkäfern und Sauriern aber nichts aus.
Was aber wirklich abscheulich ist, das ist, dass sich das Angstpotenzial, das Montiroso auslöst, steril in Flaschen abfüllen und zu einem guten Preis auf den Märkten absetzen lässt. Und die Märkte sind in der Tat auf dem Sektor stark wettbewerbsorientiert. Ich könnte euch wirklich nicht sagen, was übler ist: Dass es so etwas wie Mentiroso überhaupt gibt – oder dass menschliche Wesen es über sich bringen, aus dem Elend Profit zu schlagen – und mit viel Erfolg, das dieser Schmerzensplanet aus sich erzeugt! Beide Vorstellungen sind mir gleich widerwärtig. Ihr fragt euch vielleicht, wie so etwas sein kann? Na, werde ich es wissen? Geht doch hin – und fragt Gott!
Der Mann, der so clever war, aus dem Horrorwachtraum, der Mentiroso ist, harte Cerces zu schlagen, hieß Nikos Hasgard. Mit Schmerz erkläre ich hiermit, dass der Kerl Roma-Blut hatte. Er war ein pash, ein Halbblut mit einem Gajo-Vater aus Sidri Akrak, und seine Mutter war eine reine Rom von Estrilidis. Aber natürlich war es die Roma-Erbschaft in ihm, die ihn mit der nötigen Intelligenz versorgte, so dass er begreifen konnte, was man für einen Gewinn aus einem Loch wie Mentiroso schlagen konnte … und es war sein Gaje-Erbteil, das ihn kaltschnäuzig und herzlos genug machte, das dann auch wahrhaftig zu tun.
Hasgard war ein nicht sehr großer, fast nur aus Knochen bestehender Mann, kein Fleisch am Leib, und die Augen wie herumzuckende Peitschenschnüre, und ein dermaßen verkniffener Mund, dass er nur noch wie eine dünne Linie unter der Nase aussah. Eigentlich mochte man ihn auf Anhieb nicht. Der Mensch war nicht bloß entschlossen, aus Mentiroso Profit herauszuschlagen – nein, es schien ihn überhaupt nicht zu stören, dass er dort monatelang ohne Unterbrechung leben musste; daraus sieht man, wie eklig und ausgekocht der Kerl war. (Oder vielleicht war er auch dermaßen verdreht, dass es ihm Spaß machte, was Mentiroso mit der menschlichen Seele anstellt.)
Der sogenannte Hasgard-Prozess besteht darin, dass man die Nervenentladungen menschlicher Gehirne abzapft, die lange Zeit hindurch der Angstbelastung ausgesetzt gewesen waren, die Mentiroso für Menschen mit sich bringt. Du sitzt da und zitterst und schauderst, und die Maschine zeichnet alles auf, was du an Stress und Furcht und zitternder Angst und Unruhe von dir gibst. Das Ganze wird in eine psychoaktive Speicherbatterie eingespeist, von wo aus es jederzeit wieder abspielbar ist.
Es gibt dabei drei Regelstufen an Playback-Intensität. Bei Stufe Eins, so hat man mir gesagt, erlebt man eine Art interessanten unheimlich kriechenden Schauder, etwa so wie wenn man spät nachts Gruselgeschichten liest. Es handelt sich also um reine Unterhaltung, wenn auch von einem Typ, den ich schon immer für
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