Zorn der Meere
»wären wir noch immer auf der Batavia.«
Das Gesicht des Kapitäns nahm eine äußerst ungesunde Farbe an. Es wirkte bläulich.
»Du wolltest ja nicht auf mich hören«, stichelte Halfwaack weiter. »Ich hatte dir gesagt, lass die Finger von der Dirne.«
In der Hand des Skippers blitzte sein Messer auf. »Noch ein Wort«, zischte er, »und du erteilst deine weiteren Ratschläge den Fischen.«
»Vielleicht sollten wir den Kapitän in Ruhe seine Arbeit verrichten lassen«, schaltete sich Francois ein. »Es sei denn, wir hätten einen unter uns, der glaubt, er könne das besser.«
Niemand erwiderte etwas.
Francois richtete seinen Blick auf den Skipper, der sein Messer schwer atmend zurück in die Scheide schob.
»Nun, wie sieht es aus?«, fragte Francois in die Runde. »Weiß jemand, wie wir nach Java kommen?«
Die Männer schauten zu Boden.
Francois fing den Blick des Skippers auf. Er glaubte sogar, ein anerkennendes Nicken zu bemerken. Mehr Dank ist von einem Adriaen Jacobs nicht zu erwarten, sagte er sich.
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Er musste sich dennoch ein Schmunzeln verbeißen. Da sieh einer an! dachte er amüsiert und verwundert zugleich. Wer hätte geglaubt, dass der Kapitän und ich eines Tages auf einer Seite stehen?
Auf dem Friedhof
Jeronimus hatte den Inselrat zu einer öffentlichen Versammlung einberufen.
Lucretia erschien, weil Andries de Vries ihr zugeflüstert hatte, es sei wichtig.
In der vergangenen Nacht hatte ein Matrose, der die Vorräte bewachte, ein Weinfass angestochen und sich daraus bedient.
Offenbar hatte er auch seine Kameraden angestiftet, denn in den frühen Morgenstunden wurden mehrere Männer betrunken neben den Fässern aufgefunden.
Jeronimus ließ den Rat nahezu eine Stunde lang in der Sonne warten, ehe er erschien. Dann jedoch tauchte er in der Kleidung des Kommandeurs auf, die er, wie Andries Lucretia zuwisperte, aus dessen Truhe geplündert hatte. Lucretia gewahrte einen frischen weißen Spitzenkragen unter einem dunklen Rock und einen weißen Hut, um dessen Krone sich eine schwere Goldkette wand. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht zu kichern, denn inmitten der ganzen abgerissenen Gestalten wirkte Jeronimus' Anblick eindeutig komisch. Die Lust zu lachen verging Lucretia indes, nachdem sie Jeronimus' Miene gewahrte.
Bis auf wenige Ausnahmefälle hatte Lucretia Jeronimus stets zuvorkommend erlebt, doch an diesem Morgen wirkte er ausgesprochen wütend und merkwürdig erregt. Er blieb hoch aufgerichtet stehen, stemmte die Fäuste in die Seiten und maß die Versammelten mit zornigem Blick.
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Was hat er vor? fragte Lucretia sich. Was will er mit diesem Auftritt bezwecken?
»Also«, ertönte Jeronimus' schneidende Stimme. »Ihr wisst, weshalb wir hier versammelt sind.«
»Lieber Herr Cornelius«, begann Pfarrer Bastians unterwürfig,
»bitte setzt Euch doch hin und lasst uns in Ruhe über den Vorfall reden.«
»Nein!«, entgegnete Jeronimus kalt. »Hier gibt es nichts zu bereden. Es geht um Männer, die sich meinen Befehlen widersetzten.« Jeronimus machte eine Pause. »Diese Befehle waren auf unser Überleben ausgerichtet«, fuhr er mit erhobener Stimme fort. »Ich plädiere deshalb für den Tod der Schuldigen.«
Die Ratsmitglieder tauschten entsetzte Blicke.
Die Umstehenden wirkten wie gelähmt.
»Herr Unterkaufmann«, hub Pieter Janz schließlich an, »ich stimme Euch insofern zu, als dass der Wachmann eine harte Strafe verdient. Seine Kameraden hingegen nahmen aber doch nur, was man ihnen bot. Womöglich wussten sie nicht einmal, woher der Wein stammte.«
Jeronimus funkelte ihn aufgebracht an. »Das ist eine überaus fadenscheinige Erklärung«, erwiderte er. »Wie konnte der Wein anders als gestohlen sein?«
»Dennoch sind ihre Vergehen geringer«, beharrte Pieter Janz.
»Sie haben getrunken, jedoch nicht gestohlen. Das ist ein Unterschied.«
»Was fällt Euch ein, mich zu korrigieren?«, schrie Jeronimus außer sich. »Seit wann seid Ihr ein Advokat des Verbrechens geworden?«
Die Ratsmitglieder erschraken sichtlich. Pfarrer Bastians presste die Bibel fester an sich.
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»Darum geht es nicht, Herr Unterkaufmann«, nahm Janz einen neuerlichen Anlauf. »Ich finde lediglich, eine derart drastische Entscheidung liegt in der Verantwortung des gesamten Rates.«
Jeronimus wurde kreidebleich. »Wenn wir zulassen, dass der Diebstahl unserer Rationen keine drastische Strafe nach sich zieht«, zischte er, »kann ich für unser Überleben nicht länger
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