Zorn der Meere
garantieren.«
»Eure Worte enthalten viel Wahrheit«, schaltete Pfarrer Bastians sich eilig ein. »Aber vielleicht reicht es tatsächlich, nur den Wachmann hinzurichten. Was seinen Kameraden betrifft, zöge auch ich ein milderes Urteil vor.«
»Ihr werdet nach meinen Wünschen abstimmen«, beschied Jeronimus ihn eisig. »Für die Schuldigen gilt der Tod durch Ertränken.«
Lucretia sah, dass der Feldwebel und Pfarrer Bastians tuschelnd die Köpfe zusammensteckten. Beide wirkten verstört, wohingegen Zeevanck gleichgültig in die Runde blickte.
Deschamps knetete lediglich seine Finger, ihm schien es die Sprache verschlagen zu haben.
Lucretia schaute sich um. Hinter sich entdeckte sie Andries'
furchtsame Miene. Alle anderen schienen noch immer wie versteinert zu sein.
Jeronimus wurde ungeduldig. »Ich verlange die Todesstrafe für jeden der Schuldigen! Diejenigen, die mir zustimmen, heben die Hand.«
Zeevancks Hand flog als Einzige in die Höhe.
Jeronimus lief dunkelrot an, und das Atmen schien ihm Schwierigkeiten zu bereiten. »Das wird euch noch Leid tun«, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, ehe er auf den Hacken kehrtmachte und verschwand.
Zeevanck erhob sich, um ihm zu folgen.
-293-
Lucretia blickte ihnen verblüfft nach. Der Wutanfall des Unterkaufmanns kam ihr nahezu kindisch vor, nur ein Aufstampfen mit dem Fuß hätte noch gefehlt. Sie musste sich abermals zwingen, ernst zu bleiben.
Lucretia war jedoch die Einzige, die Jeronimus' Auftreten erheiternd fand. Alle anderen begaben sich mit besorgten Mienen in ihre Unterkünfte zurück.
Später lag eine unnatürliche Stille über der Insel, so als ob jeder die Luft anhielte, um sich gegen ein drohendes Strafgericht zu wappnen.
Abends traf Lucretia auf Andries, der mit bedrückter Miene am Strand kauerte und die Arme um seinen Oberkörper geschlungen hatte. Als er ihrer ansichtig wurde, sprang er auf.
»Madame«, murmelte er errötend. »Ich bin froh, Euch zu sehen. Ich hatte gehofft... ich muss Euch etwas berichten.«
Lucretia lächelte. Höfliche Anreden war sie nicht mehr gewohnt. Sie blickte an ihrem Samtkleid hinab, auf die Salzränder und den zerschlissenen Saum. Danach betrachtete sie ihre Hände mit den schmutzigen Rändern unter den abgebrochenen Fingernägeln. Zwaantie würde meinen Anblick genießen, fuhr es ihr durch den Sinn. Sie würde sich daran weiden, wie weit es mit ihrer Herrin gekommen war.
»Ist denn etwas vorgefallen?«, erkundigte sich Lucretia.
»Der Inselrat wurde aufgelöst«, erklärte Andries. »Jeronimus hat Deschamps durch van Huyssen ersetzt und den Feldwebel durch den Steinmetz.«
»Durch den Steinmetz?«, fragte Lucretia ungläubig nach.
»Der Steinmetz ist halb verblödet. Wie kann so jemand Mitglied eines Rates werden?«
Andries zuckte die Achseln.
»Was hat der Feldwebel dazu gesagt?«
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»Nichts«, erwiderte Andries. »Was soll er denn sagen? Die Söldner, die hinter ihm standen, sind fort, um die Wasserfässer zu füllen. Außerdem verlässt er uns morgen selbst, da er die Freiwilligen auf die Verräterinsel rudert.«
Lucretia ließ sich auf den Strand nieder. Andries setzte sich in gebührendem Abstand von ihr ebenfalls wieder hin.
»Es war sowieso nur eine Frage der Zeit«, murmelte er.
»Was meinst du damit?«
»Es spielen sich seltsame Dinge ab, Madame, Dinge, von denen die meisten hier keine Ahnung haben.«
»Nenn mir ein paar Beispiele.«
Andries pflückte ein Korallenbäumchen ab und schleuderte es in die Wellen. »Wisst Ihr eigentlich, wie viel Wein wir haben und wie viel Wasser?«
»Nein.« Lucretia schüttelte den Kopf.
»Seht Ihr«, murmelte Andries. »Und allen anderen geht es ebenso. Die Einzigen, die die genaue Menge kennen, sind Jeronimus und seine Spießgesellen. Sie tun so, als besäßen wir nur noch wenig, und teilen alles unter sich auf.«
»Willst du behaupten, dass Jeronimus uns betrügt?«
Andries nickte. »Der Wachmann hatte sich an Jeronimus'
bestem Wein vergriffen. Kein Wunder also, dass der Unterkaufmann außer sich war.«
Lucretia war verwirrt. Bislang hatte sie Jeronimus für einen zuverlässigen Diener der Companie gehalten, für jemanden, der sich nichts zuschulden kommen ließ. Gewiss war er ihr zuweilen eigentümlich vorgekommen, doch sie hatte stets angenommen, dass dies ihr persönlicher Eindruck war, der sich durch nichts Greifbares begründen ließ.
»Wart Ihr jemals in seinem Zelt?«, fuhr Andries unterdessen fort.
»Ganz am
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